Die Flutkatastrophe in Asien stellt die Hilfsbereitschaft der EU auf den Prüfstand
Die verheerende Flutwellenkatastrophe hat in der Weltöffentlichkeit durch ihre außergewöhnliche mediale Begleitung Aufmerksamkeit und ein hohes Maß an Mitgefühl für die betroffenen Regionen erzeugt.
Uns wird der Bedarf bewusst, handlungsfähige Institutionen zur Verfügung zu haben, die sowohl konkrete Hilfe vor Ort leisten als auch mittelfristig den notwendigen Transfer finanzieller Mittel in die Regionen gewährleisten können. Bei ersterer Aufgabenstellung wird klar, dass wir in einem Weltsystem leben, in dem zwar in den Aufbau militärischer Eingreiftruppen investiert wurde, zivile Aufbaustrukturen und Katastrophenhelfer jedoch vernachlässigt wurden.
Im Hinblick auf die zweite Aufgabe müssen das Europäische Parlament und besonders der Entwicklungsausschuss prüfen, ob die medienwirksam zugesagte Finanzhilfe den Menschen in der betroffenen Region auch wirklich nutzbringend zufließen wird.
Von 1,5 Milliarden Euro Hilfe der EU zum Wiederaufbau aus den Mitteln der Europäischen Union war in den Medien die Rede. Tatsächlich teilt sich diese Summe in drei Bereiche auf. 100 Millionen Euro bewilligte das Parlament kurzfristig aus der Budgetreserve der EU. Diese Mittel können tatsächlich kurzfristig abgerufen werden und kommen über die Organisation für humanitäre Hilfe der Europäischen Gemeinschaft, ECHO, schnell zur Anwendung. Durch die Dimension der Katastrophe in Personalnot geraten, musste ECHO für die Hilfsaktionen allerdings Personal aus anderen Krisenregionen wie Afghanistan verlagern.
Kommissionspräsident Barroso sagte weitere 373 Millionen Euro als mittelfristige Wiederaufbauhilfe zu. Woher diese Mittel kommen und wofür sie eingesetzt werden sollen, ist jedoch noch unklar. Während das Europaparlament und die luxemburgische Ratspräsidentschaft bereits klar gefordert haben, dass diese Gelder nicht durch Umverteilung aus anderen Entwicklungsbudgets finanziert werden dürfen, wird dies bei einigen anderen Regierungen und bei der Kommission offenbar nicht so eindeutig gesehen. So wird die entsprechende Haushalts- und Vergabevorlage der Kommission hinausgezögert und damit auch der Beginn des Wiederaufbaus.
Schließlich soll die Europäische Investitionsbank (EIB) noch 1 Milliarde Euro für die gewaltigen Aufgaben bereitstellen. Deren Präsident Maystadt äußerte sich auf meine Nachfrage vor dem Entwicklungsausschuss jedoch skeptisch. Die Gelder könnten zwar aufgebracht werden, schließlich tätigt die Bank im Jahr Investitionen von über 40 Milliarden Euro. Diese Summen werden jedoch überwiegend in Europa eingesetzt. Außerhalb Europas hat die Bank ein Mandat für den Mittelmeerraum und für die AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik), Projekte auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe zu finanzieren. In Asien und Lateinamerika darf die Bank jedoch ausschließlich Vorhaben finanzieren, die direkt der europäischen Wirtschaft oder europäischen Unternehmen zugute kommen.
Das stellt diese Milliarde in einem ganz anderen Licht dar: die vermeintliche Förderung des Wiederaufbaus in Südasien wird zu einem gewaltigen Projekt der Außenwirtschaftsförderung der EU. Dabei fließen diese Gelder auch noch als Kredite und belasten daher durch Rückzahlung und Zinsen über Jahrzehnte die Haushalte der durch die Flut geschädigten Länder.
Dieses Beispiel macht deutlich, was wirklich geändert werden muss in der so genannten Entwicklungshilfe. Real fließen Jahr für Jahr als Ergebnis dieser gängigen Praxis netto Gelder vom Süden in den Norden, statt umgekehrt. Deutschland, Frankreich, Großbritannien aber auch andere, die sich als Geberländer preisen, vergeben Kredite für dringend benötigte Projekte in den Ländern des globalen Südens in der Regel nur unter der Bedingung, dass mit der Durchführung Unternehmen aus den Geberländern beauftragt werden.
Auch wenn, wie vor kurzem, dann mit einem gewissen Zynismus ein Moratorium für die so den armen Ländern aufgebürdeten Schuldenberge angekündigt wird, sind diese zu Recht zögerlich in der Annahme des Tilgungsaufschubs. Länder wie Indonesien würden dadurch ein schlechteres Kreditrating erhalten und sich künftig benötigte Kredite auf dem internationalen Kapitalmarkt nur zu erheblich ungünstigeren Bedingungen verschaffen können.
So lange dieses moderne System der Ausbeutung des Südens durch die Regierungen der kapitalistischen Metropolen nicht durch einen organisierten Rücktransfer von Geldern in den Süden ersetzt wird, ist selbst der Ruf nach einer Erfüllung des vor Jahrzehnten gegenüber den Vereinten Nationen gegebenen Versprechens, nationale „Entwicklungshilfe“ auf 0,7 % des jeweiligen BIP aufzustocken, nicht sinnvoll. Erreicht wird dieser Anteil in der EU ohnehin nur von Luxemburg, den Niederlanden, Dänemark und Schweden. Der deutsche Anteil beträgt unter der Regierung Schröder nur noch 0,27 %. Die Bundesregierung hat sich allerdings verpflichtet, bis 2006 wieder das Niveau der 0,33% von 1994 zu erreichen.
Wenn die Rahmenbedingungen nicht geändert werden, nutzt die Europäische Union diese Flutkatastrophe demnach genauso schamlos zur Förderung der eigenen Wirtschaft, wie die USA und Großbritannien dies nach ihrem Krieg gegen den Irak getan haben. Die PDS-Europaabgeordneten werden im Europäischen Parlament Anträge einbringen, um dem entgegen zu steuern.
Die Menschen, für die durch die Bilder der Flutkatastrophe die Notwendigkeit der Unterstützung der Länder des Südens einen so viel höheren Stellenwert erhalten hat, dürfen nach ihrer eigenen hohen Spendenbereitschaft jetzt nicht entmutigt werden. Denn die notwendigen Anstrengungen zum Erreichen der im Rahmen der Vereinten Nationen auch von der Bundesrepublik vereinbarten Millenium Development Goals (MDG) sind enorm. An den Folgen der Armut, die durch dieses Programm bis 2015 bekämpft werden soll, sterben heute noch täglich mehr als 30.000 Menschen.
Jeffrey Sachs, Wirtschaftsprofessor und Milleniumsbeauftragter der UNO, rechnet den jährlichen Beitrag der Geberländer auf derzeit 25 Dollar pro Kopf in den Ländern des Südens um. Nach seiner Rechnung sind das 40-50 Dollar zu wenig, um durch Investitionen in Infrastruktur, Schulen, Malarianetze und andere überlebenswichtige Hilfen den Anteil der extrem armen Menschen und Hungernden bis 2015 zu halbieren.
Schon in diesem September wird eine Sonderkonferenz der UNO den Zwischenstand des Erreichten bei den Milleniumzielen bemessen. Spätestens dieser Termin wird dann zum Prüfstein geraten, was aus den Hilfszusagen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten in der Praxis geworden ist.