Welcher Weg aus der neuen „Eurosklerose“: neoliberal oder sozial?

Klaus Dräger

Vieles an der derzeitigen Diskussion über die wirtschaftliche Lage der EU erinnert an die konservativen Thesen Ende der 1970er Jahre über die so genannte „Eurosklerose“. Damals hieß es, Europa fehle es an wirtschaftlicher Dynamik im Vergleich zu den USA und Japan. Die Ursache: zu hohe Steuerbelastung der Wirtschaft, zu viele hemmende bürokratische Vorschriften, zu hohe Löhne, zuviel Sozialstaat und zu starre Arbeitsmärkte. Nach 20 Jahren neoliberaler Revolution und Sparorgien zulasten der Unterklassen in Europa ertönt die gleiche Klage: Die Wettbewerbsfähigkeit der EU ist zu gering. Und die USA, China und Indien machen uns platt im globalen Wirtschaftskrieg. Tony Blair will die EU deshalb unumkehrbar zu einer bloßen Freihandelszone machen. Die mangelnde „Nachhaltigkeit des europäischen Sozialmodells“ ist das Hauptthema der britischen Ratspräsidentschaft und der Europäischen Kommission. Der Sozialstaatsabbau soll verschärft und die Liberalisierungspolitik nochmals radikalisiert werden (Dienstleistungsbinnenmarkt, Arbeitszeitverlängerung usw.). Mitte der 1970er Jahre waren der rechten „Eurosklerose-Debatte“ hoffnungsfrohe linke Visionen von „Eurosozialismus“, „Eurokommunismus“ und einem „Europa der Arbeitnehmer“ vorausgegangen. Diese scheiterten bekanntlich auch am inneren Streit. Die in Paris am 25. Juni 2005 versammelten Kräfte des „Nein“ zur EU-Verfassung wollen einem „sozialen, demokratischen, friedlichen, feministischen, ökologischen und solidarischen Europa“ eine Stimme geben. Sie wollen die Aushöhlung der EU-Arbeitszeitrichtlinie und die Richtlinie zum Dienstleistungsbinnenmarkt verhindern. Gegen die „Lissabon-Strategie“ der EU soll eine „Strategie von Athen“ gesetzt werden – benannt nach dem Tagungsort des Europäischen Sozialforums im Frühjahr 2006. Im Zentrum stehen Forderungen nach einem europäischen Mindestlohn, Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung, Schutz der Umwelt und gesunder Lebensmittel, Kampf gegen Militarisierung. Beides ist richtig. Was allerdings fehlt, sind Ideen über das „Wie“ eines anderen Europa. Liegt das linke Heil im „Zurück zum „nationalen Wohlfahrtsstaat“ oder gibt es eine gemeinsame europäische Perspektive? Das Scheitern der „Eurosozialismus“ und „Eurokommunismus“-Ideen der 1970er Jahre machen das Nachdenken über eine schlüssige Leitvision für die europäische Integration nicht weniger dringend. In einem Punkt hat Tony Blair Recht. Der Kampf geht jetzt in erster Linie um ein „politisches Projekt für Europa“. Die Frage ist: Welches? Die PDS-Delegation hat einiges an konkreten Konzepten aus ihrem Europawahlprogramm 2004 in die europäische Debatte der Linken einzubringen: eine integrierte EU-Nachhaltigkeitsstrategie für Umwelt und Arbeit, eine europäische Sozialunion, ein ökologisch-solidarisches Zukunftsinvestitionsprogramm und vieles mehr. Die Referenden haben Neugier auf Gestaltungsideen geweckt. Die Zeit ist reif für klare, harte und grundsätzliche europäische Alternativen.