Von Calw nach Kabul: Ein geheimer Krieg? – Abgeordnetenspalte im Schwäbischen Tagblatt – 15.07.05 – Tobias Pflüger
Am 29. und 30 Juni war ich mit einer kleinen Gruppe des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments in London, um Gespräche mit der neuen britischen Ratspräsidentschaft, unter anderem mit Außenminister Jack Straw, zu führen. Von London ging es dann nach Edinburgh zu den Protesten gegen den dortigen G8-Gipfel. Umgestiegen bin ich in London in der U-Bahn-Station Kings Cross. Genau eine Woche später explodierte genau in dieser U-Bahn-Station eine der Bomben der Terroranschläge von London und riss viele Menschen in den Tod.
Der Vizepräsident des Europaparlaments, Edward Mc Millian-Scott, aus dessen Wahlkreis die Attentäter wohl kommen, meinte, offensichtlich nützte es dann wenig, Kabul zu bombardieren. Wir alle wissen, die Kriege in Afghanistan und im Irak haben die Terrorgefahr nicht verringert, im Gegenteil, die Gefahr ist deutlich gestiegen. Und ich zitiere die FAZ: „Niemand erwähnte, dass Blair mit seinem Entschluss, unsere Soldaten für Profite in den Krieg zu schicken, auch sein Land in Gefahr gebracht hat, und zwar das ganze Land und zu jeder Zeit.“
Leider beteiligt sich Deutschland ganz wesentlich an den Militäreinsätzen in Afghanistan. Risiken und Nebenwirkungen können tödlich sein. Die Bundeswehr hatte gerade fünfzigsten Geburtstag. Minister Struck verordnet ihr eine Frischzellenkur, unter anderem im Norden Afghanistans. Die Bundeswehr wird um 800 auf 3000 Soldaten aufgestockt, das Einsatzgebiet im Norden Afghanistans wird ausgeweitet.
Auch das „Kommando Spezialkräfte“ (KSK) aus Calw ist wieder mit dabei. Der organisierte Widerstand gegen die ausländischen Besatzungstruppen, darunter Bundeswehreinheiten, hat enorm zugenommen. Nach Presseberichten sollen auch bis zu zwölf Bundeswehr-Soldaten des unter Geheimschutz operierenden KSK in Afghanistan den Tod gefunden haben. Es ist dringend notwendig, dieses KSK aus dem Einsatz zurückzuziehen. Die Truppe muss sofort aufgelöst werden. Besonders tragisch: Das Ganze läuft unter einer rot-grünen Regierung, von der einst Teile selbst noch das KSK auflösen wollten.
Auch auf europäischer Ebene rüstet die Bundeswehr nach vorne. Mit über 1000 Soldaten beteiligt sie sich derzeit am Bosnien-Einsatz der EU, genannt „Operation Althea“. Der deutsche Admiral Rainer Feist, Chef der EU-Mission, hatte betont, dass nur die politische Verantwortung wechseln werde. Im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments erklärte er offen, dass für die Umwidmung eines NATO-Quartiers in ein EU-Quartier nur die Fahne wechsle. Als Zwischenschritt greift die EU auf NATO-Kapazitäten zurück.
Fest steht: An den Auftrag einer Armee, der sich auf die Territorialverteidigung beschränkt, erinnert fast nichts mehr. Die Verteidigung Deutschlands am Hindukusch, wie es Verteidigungsminister Peter Struck will, ist schon längst das prägende Element für Strategie- und Zukunftsplanung der Bundeswehr. „Europäische Soldaten sind unsere Visitenkarten in der Welt“, jubelte jüngst der luxemburgische Verteidigungsminister. Ich plädiere dafür, dass die Bundeswehr aus den Kriegsgebieten abzieht. Europa braucht nicht noch mehr Soldaten in der Welt.
Tobias Pflüger, parteiloser Europa-Abgeordneter der PDS