Tobias Pflüger: Der neue EU-Verfassungsvertrag: Nicht nur militaristisch, Zeitung von UL/DL, Humboldtuniversität Berlin, Januar 2005

Am 29. Oktober 2004 unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs in Rom den EU-Verfassungsvertrag. Anders als in der Bundesrepublik – hier müssen Bundestag und Bundesrat dem neuen EU-Vertrag mit 2/3 Mehrheit zustimmen, damit er ratifiziert werden kann – finden in vielen Mitgliedstaaten der EU Referenden statt, bei denen es um ein Ja oder Nein zum EU-Verfassungsvertrag gehen wird. Einer der aussichtsreichsten Kandidaten, um den EU-Verfassungsvertrag scheitern zu lassen, ist Frankreich. Die französischen Sozialdemokraten – die Sozialistische Partei (SP) – hatten eine eigene innerparteiliche Vorwahl angesetzt, um ihre Position zum EU-Verfassungsvertrag zu bestimmen. Fast 59% stimmten vor wenigen Wochen für den EU-Verfassungsvertrag. Die die linke französische Tageszeitung La Marseillaise kommentierte im Anschluss: „Der deutliche Sieg des ‚Ja‘ ist unzweideutig: Die Sozialisten haben mit großer Mehrheit die Bequemlichkeit des Status Quo eines Maastricht-Europa einem entschlossenen Bruch mit dem neoliberalen Europa vorgezogen. Auch wenn sie unter der wirtschaftsliberalen Konzeption der EU leiden, haben es zahlreiche Parteimitglieder nicht gewagt, dieses Modell des europäischen Aufbaus in die Krise zu stürzen.“ Bei der Linksfraktion in der EU indes, sieht es bis auf die Berliner PDS-Europaabgeordnete Kaufmann anders aus. Kaufmann hatte erst kürzlich wieder einmal einem Bericht des Europäischen Parlaments im Konstitutionellen Ausschuss – im Gegensatz zu den beiden Enthaltungen eines österreichischen und französischen Grünen dort – zugestimmt, der zur Ratifizierung des Verfassungsvertrages auffordert und den Vertrag lobpreist.

SPD und Grüne in der Bundesrepublik befürworten dagegen unisono den EU-Verfassungsvertrag, auch wenn einige einräumen, dass durch den EU-Verfassungsvertrags der Einsatzkatalog der Petersbergaufgaben (X1) um „gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen“, „militärische Beratung und Unterstützung“ und „Konfliktverhütung“ sowie um die Unterstützung bei der Bekämpfung des Terrorismus noch erweitert werden soll (vgl. Art.III-309, 1). Als missverständlich sehen einige zumindest die Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten, ihre „militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“(Art.I-41, 3). Auch, dass eine Europäische Rüstungsagentur, diese Aufrüstungsverpflichtung in die Tat mit umsetzen soll, wird von einigen Grünen, allerdings offensichtlich in erster Linie aus Akzeptanzgründen, kritisch gesehen. Frei nach dem Motto: Es wäre doch nicht nötig gewesen, dies auch noch in den EU-Verfassungsvertrag zu schreiben.

Andere wieder argumentieren, die Militarisierungsbestimmungen im EU-Verfassungsvertrag seien schon problematisch, im sozialen Bereich stelle der Text jedoch eine grundlegende Verbesserung dar, weil er die EU-Grundrechtecharta aufnehme, die doch auch soziale Grundrechte enthalte. Unabhängig davon, ob ein Vertrag, der die Politiken der EU weiterhin auf den Grundsatz der „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ (Art. III-177) festlegt, durch rechtsverbindliche soziale Grundrechte zu bändigen wäre, muss festgehalten werden, dass die Herrschenden sich nicht haben in die Suppe spucken lassen. Ja, in den EU-Verfassungsvertrag wurden soziale Grundrechte. Im Vertragstext selbst ist jedoch der Verweis auf ihre mindere Justiziabilität eingeschrieben. Zudem wurde auch noch der Verweis auf insgesamt 70 Seiten umfassende relativierende Erläuterungen mit aufgenommen, die „ein wertvolles Interpretationswerkzeug zur Erläuterung der Bestimmungen der Charta darstellen.“ und obwohl nicht rechtsverbindlich einen mit Autorität versehenen Kommentars darstellen, der gerade die sozialen Grundrechte Artikel für Artikel einschränkt und relativiert. (Art. II-112, 7) Dies betrifft insbesondere auch das Streikrecht, das es auch künftig nicht grenzüberschreitend oder gar eu-weit geben wird. (Art. II-88) Somit werden gerade die sozialen Grundrechte zu einer fast ausschließlich symbolischen Veranstaltung.

Der ehemalige Verfassungskonventspräsident Giscard gab als Zielmarke zu Protokoll der EU-Verfassungsvertrag soll fünfzig Jahre gelten. Wer diesem Vertrag zustimmt, der stimmt auch zu, dass sollte dieser EU-Verfassungsvertrag tatsächlich in allen 25 Mitgliedstaaten ratifiziert werden, der vertragliche Weg hin zu einem zivilen und sozialen Europa für die nächsten Jahrzehnte verbaut werden würde. Denn Änderungen sind nur unter Zustimmung aller 25 und ab 2007 wahrscheinlich 28 Mitgliedstaaten möglich. Das erscheint dann also wirklich unmöglich. Ja, man kann sogar sagen, dass mit diesem EU-Verfassungsvertrag das unsoziale, neoliberale und militaristische Europa Gestalt erhält. Denn im Vertragstext finden sich keinerlei Voraussetzungen. um ein soziales Europa, mit sozialen Mindeststandards und einer wirklichen Strategie von Armutsbekämpfung und Umverteilung von unten nach oben, zu gewährleisten. Im Gegenteil dieser Vertrag ist in seinem Herzstück- dort wo es um die konkreten Politiken der EU geht ausgesprochen marktradikal.

Trotz des Scheiterns der EU-VerfassungsvertragskritikerInnen bei den französischen Sozialisten, ist die Ausgangsposition für ein NEIN bei der Abstimmung in Frankreich wesentlich besser als beim Maastricht-Vertrag, den die sozialistische Partei, trotz seiner neoliberalen Ausrichtung, noch nahezu einhellig begrüßt hatte. Die über 40% Nein-Stimmen machen in diesem Sinne Mut, dass der Vertrag Anfang nächsten Jahres in Frankreich durch die Linke zu Fall gebracht werden kann. In Deutschland haben sich die etablierten Parteien verabredet dem Vertrag auf jeden Fall zuzustimmen, möglichst rasch, damit eine Debatte, wie in Frankreich gar nicht erst aufkommen kann.

Es gilt jetzt Sand ins Räderwerk der Ratifizierungsmaschinerie zu werfen – auch um die linken französischen Mitstreiter von Kommunistischer Partei über die republikanische Linke, antimilitaristische Gruppen bis hin zu attac zu ermutigen bei ihrem Einsatz für ein NON zum EU-Verfassungsvertrag. Deshalb kommt es jetzt darauf an, gerade in der Bundesrepublik aktiv zu werden, um diese Ermutigung auf den Weg zu bringen und nicht zuletzt um auch hier Aufklärung und Widerstand zu organisieren.

X1 Der Petersberg ist nicht nur ein schöner und abgeschiedener Ort mit einer Tagungsstätte in der Nähe von Bonn. Auf ihm fand am 19. Juni 1992 die Sitzung des Ministerrats der Westeuropäischen Verteidigungsunion statt (WEU: http://www.weu.int/) auf der die WEU ihr Einsatzspektrum um die so genannten Petersbergaufgaben erweiterte. Diese Aufgaben beinhalteten damals schon die Kampfeinsätze und wurden später von der EU übernommen.

Informationen zur Kampagne gegen den EU-Verfassungsvertrag sind über mein Brüsseler Büro (Tel. 00322 284 5555) erhältlich oder auf meiner Webseite www.tobias-pflueger.de einsehbar.