Die Macht der Institutionen – ND-Serie zur EU-Verfassung

Andreas Wehr

Die EU-Verfassung ist umstritten. Aber was steht wirklich im Vertrag? In einer Serie wollen wir die Haupt- Streitpunkte beleuchten.
Als ein Vorzug des Verfassungsvertrages wird oft herausgestellt, dass er zu einem Abbau des seit Jahren beklagten Demokratiedefizits der Union führt. Doch ist dies tatsächlich so? Geht man die Vorschläge zu den Institutionen durch, so zeigt sich vor allem ein Trend zu ihrer Stärkung und Straffung, mit deren Hilfe die so oft beschworene »Handlungsfähigkeit der EU nach ihrer Osterweiterung« erhalten bleiben soll: Es wird das Amt eines Präsidenten des Europäischen Rats geschaffen (Art. I-22), es kommt ein Außenminister,der zugleich Vizepräsident der Kommission ist (Art. I-28), und nach einer Übergangszeit wird die Kommission derart verkleinert, dass die Zahl ihrer Mitglieder nur noch »zwei Drittel der Mitgliedstaaten« (Art. I-26 Abs. 6)umfasst.
Eine engere Koordinierung der Eurozone wird möglich und »Staaten, die anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen«, können eine »Ständige Strukturierte Zusammenarbeit« (Art. I-41 Abs. 6) eingehen. Das Prinzip der Mehrheitsentscheidungen wird ausgedehnt, so dass in einer ganzen Reihe von weiteren Fragen die Möglichkeit des Vetos durch ein Mitgliedsland verloren geht. Im Europäischen Rat und im Rat soll ein anderes Abstimmungsverfahren zur Anwendung kommen. Das Prinzip der Entscheidungsfindung mit gewichteten Stimmen wird u. a. zu Gunsten der Berücksichtigung der jeweiligen Bevölkerungsgrößen aufgegeben.
Zukünftig kommt ein Beschluss zu Stande, wenn hinter ihm »55 Prozent Mitglieder des Rates, gebildet aus mindestens 15 Mitgliedern (stehen), sofern die von diesen vertretenen Mitgliedstaaten zusammen mindestens 65 Prozent der Bevölkerung der Union ausmachen« (Art. I-25). Von dieser Veränderung profitieren natürlich die bevölkerungsstarken Länder, und hier vor allem Deutschland, stellt es doch über 18 Prozent der EU-Bevölkerung. Bedenkt man, dass es gegenwärtig nur neun Prozent im System der gewichteten Stimmen hält, »verdoppelt« sich mithin der deutsche Einfluss. Da auch Frankreich, Italien und Großbritannien von dieser Umstellung profitieren, die verharmlosend als die »Stärkung des Europas der Bürger« bezeichnet wird, entsteht die Gefahr eines Direktoriums der Großen der EU.
Auch das Europäische Parlament soll gestärkt werden. Das Mitentscheidungsverfahren wird zum generellen »ordentlichen Gesetzgebungsverfahren« (Art. I-34). Doch wichtige parlamentarische Rechte bleiben dem Parlament weiterhin vorenthalten. Grundsätzlich hat nur die Kommission das Initiativrecht (Art. I-26 Abs. 2). Daran ändert auch die Möglichkeit nichts, dass zukünftig »mindestens eine Million Bürger« aus einer »erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten« die Kommission zu einer Initiative »auffordern« können (Art. I-47).
Das Parlament »wählt« in Zukunft den Kommissionspräsidenten, aber es darf dabei nur über einen einzigen Vorschlag abstimmen, der zuvor im Europäischen Rat angenommen wurde. Als Konzession an den parlamentarischen Mehrheitswillen wurde eingefügt, dass dabei das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament »berücksichtigt« werden soll. Eine Abstimmung über nur einen Kandidaten nennt man aber eine Scheinwahl.
Das Parlament kann auch nicht Kommissare einzeln ablehnen, sondern nur das gesamte Kollegium. Als Sozialdemokraten und Grüne kürzlich bei der Auseinandersetzung um den erzreaktionären italienischen Kommissar Rocco Buttiglione die Einzelwahl von Kommissaren forderten, übersahen sie leider, dass sie gerade einem Verfassungsvertrag zugestimmt hatten, der genau dies nicht vorsieht.
(Dieser Beitrag erschien am 15.04.05 im Neuen Deutschland)