Champagner an der Börse »Tarifkartell der Gewerkschaft de facto gesprengt«: Unternehmer feiern Standort Deutschland – Kolumne von Sahra Wagenknecht in der Tageszeitung „junge welt“, 08.01.05
Champagner an der Börse
»Tarifkartell der Gewerkschaft de facto gesprengt«: Unternehmer feiern Standort Deutschland
Da sage noch einer, die Schröder-Regierung sei nicht erfolgreich! »Der Standort D ist der Aufsteiger des Jahres«, konstatiert Hans-Jürgen Hoffman, Chef des Meinungsforschungsinstituts Psephos, das regelmäßig europäische Unternehmenslenker nach ihrer Meinung über die internationalen Profitbedingungen befragt. In deren Augen, das besagt der jüngst veröffentlichte Business-Monitor International, hat Deutschland in Sachen Wettbewerbsfähigkeit 2004 größere Fortschritte gemacht als jedes andere Land. Immerhin, schwärmt der Präsident des Hamburger Weltwirtschaftsarchivs (HWWA), Thomas Straubhaar, sei »das Tarifkartell der Gewerkschaften de facto gesprengt worden«.
Das positive Deutschland-Bild der Wirtschaftsbosse wurde kürzlich auch im Rahmen eines Standort-Rankings bestätigt, das das World Economic Forum (WEF) durchführte und das die Bundesrepublik im Herbst 2004 zu einem der zehn besten Standorte der Welt erklärte.
Wirklich überraschen kann solcherart Lob allerdings nur jene Gemüter, die den hitverdächtigen HoheSteuernHoheLöhneLangeKrise-Song der HundtClementMerkel-Band tatsächlich ernst genommen haben. Wirft man einen Blick auf die Zahlen, ist die gute Deutschland-Stimmung der Rentiers und ihrer Agenten weniger erstaunlich. Immerhin präsentieren nahezu alle großen deutschen Konzerne 2004 goldgeränderte Bilanzen. Um mehr als 60 Prozent sind die Gewinne der im Aktienindex Dax gelisteten Wirtschaftsriesen nach oben geschossen. Jetzt wird eine Dividendensaison in Champagnerlaune mit Rekordausschüttungen von weit über zehn Milliarden Euro erwartet, die selbst das bisherige Spitzenjahr 2000 in den Schatten stellt.
Auch im Jahr 2000 waren bereits Millionen arbeitslos, Kinder lebten in Armut, Haushalte versanken in Schulden. Aber einen derart schreienden Kontrast zwischen Prosperitätsrausch auf der einen und Ruin und Hoffnungslosigkeit auf der Gegenseite, wie wir ihn heute erleben – zu ein und derselben Zeit, in ein und demselben Land – gab es wohl noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Es konnte ihn früher auch nicht geben, da selbst die exportorientierten Konzerne zu wesentlichen Teilen immer auch auf den Heimatmarkt angewiesen waren. Lag dieser darnieder, konnten sie zwar noch gute Profite machen, aber Spitzenergebnisse waren nicht mehr drin. Erst die internationale Expansion der vergangenen 15 Jahre im Umfeld eines global liberalisierten, deregulierten und immer umfassender privatisierten Kapitalismus hat diese nahezu vollständige Abkoppelung von der Binnennachfrage möglich gemacht.
Damit freilich hat die alte Weisheit des fordistischen Zeitalters, daß Autos keine Autos kaufen, für die hierzulande politikbestimmenden Wirtschaftseliten tatsächlich jeden Wert verloren. Daß man jetzt auch noch den letztverbliebenen Vertreter einer nachfrageorientierten Wirtschaftstheorie aus dem Sachverständigenrat zu ekeln sucht, ist da nur konsequent. Für die Konzerne ist der Produktionsstandort zum ausschließlichen Kostenfaktor geworden; je erfolgreicher man diese zu minimieren versteht, desto höher die Chance, auf anderen Märkten andere Konkurrenten niederzuzwingen, um so selbst dort zu wachsen, wo die Nachfrage stagniert.
Die Kehrseite dieser Strategie ist weiter und weiter anschwellende Arbeitslosigkeit. Denn die strahlenden Bilanzen beruhen ja gerade darauf, daß weniger Leute für weniger Geld länger arbeiten. Nicht zufällig hat das Handelsblatt im Jahresrückblick die erfolgreiche Erpressung der Siemens-Beschäftigten, unter dem Damoklesschwert der Produktionsverlagerung einer Rückkehr zur 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich zuzustimmen, als »das Ereignis mit dem größten Symbolwert im Jahr 2004« gefeiert.
Eine weitere Strategie der Kostenminimierung, die vor allem im Falle weniger qualifizierter Tätigkeiten angewandt wird, besteht darin, Arbeitsplätze zu splitten und so zwar mehr Leute, aber für noch weniger Geld, ohne Sozialversicherungspflicht und Kündigungsschutz, als allseits disponibles Ausbeutungsobjekt anzuheuern. Entsprechend ist nicht allein die Arbeitslosigkeit Ende 2004 auf neue Rekordhöhe geklettert. Auch Minijobs, Ich-AGs und Ein-Euro-Zwangsarbeit boomen. Den 149 000 Menschen, die trotz aller Statistiktricks Ende 2004 als zusätzliche Arbeitslose registriert wurden, steht im Vergleich zu 2003 bei den sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen ein Minus von über 300 000 gegenüber.
Auf dem Binnenmarkt freilich gilt die alte Rückkopplungsschleife nach wie vor. Wer – mit oder ohne Arbeit – weniger hat, gibt auch weniger aus, was die auf diesen Markt angewiesenen Firmen – und das ist nach wie vor die große Mehrheit – in Existenznöte und nicht wenige ins Aus stürzt. Erneute Entlassungen sind die Folge. »Hartz VI« wird diesen Kreislauf um eine weitere düstere Runde bereichern.
Ausweglos ist das keineswegs. Allerdings wird man Auswege heute, anders als zu Keynes Zeiten, ganz bestimmt nicht mehr im Konsens mit den Herrschenden finden.