Großer Einsatz – und sogar Erfolge

Ein Jahr nach der Europawahl am 13. Juni 2004: die PDS-Delegation im Europäischen Parlament. Ein Zwischenbericht

Wie lässt sich das einjährige Wirken der PDS-Delegation bilanzieren? Ich möchte versuchen, unsere Arbeit anhand einiger quantitativer Aussagen zu verdeutlichen, ohne die inhaltlichen Fragen aus den Augen zu verlieren.

Bisher haben wir sieben Berichte beziehungsweise Stellungnahmen ins Parlament eingebracht. Das bedeutet, im Auftrag des Parlaments den Entwurf einer Positionierung für einen Fachausschuss oder das gesamte Parlaments zu Gesetzesvorschlägen der Kommission zu entwerfen. Die inhaltliche Bandbreite reicht von der EU-Dienstleistungsrichtlinie über die Arbeit der Europäischen Investitionsbank, Sozialvorschriften im Straßenverkehr, den Status von Flüchtlingen in der EU bis hin zur EU-Informations- und Kommunikationsstrategie.

Mitglieder der PDS-Delegation haben namentlich 59 Entschließungsanträge der GUE/NGL mitgezeichnet, 30 mündliche und schriftliche Anfragen an die Europäische Kommission und den Rat gestellt, 37 Redebeiträge im Plenum gehalten, etwa 500 Änderungsanträge in Ausschüssen oder im Plenum gestellt. Unsere Öffentlichkeitsarbeit erfolgt vorrangig über Presseerklärungen (bisher etwa 120) und Artikel (circa 70) in Publikationen, Zeitschriften und Zeitungen. Wir haben zwei Broschüren und drei Flyer erarbeitet und herausgegeben. Unsere Gruppe gibt jeden zweiten Monat eine eigene Zeitung – „europa rot“ – heraus. Darin werden wichtige parlamentarische und außerparlamentarische Aktivitäten ausführlicher beschrieben. Unsere Internetseite www.pds-europa.de wird durchschnittlich 350 mal täglich besucht. Als speziellen Service haben wir eine Website zu EU-Fördermitteln eingerichtet, um Hilfe zu Direktförderungen aus Brüssel zu geben (www.pds-europaservice.de).

Wir haben mehrere Konferenzen und Anhörungen der GUE/NGL-Fraktion und der Fachausschüsse des Parlaments mitinitiiert. Dabei ging es um Wirtschaftsdemokratie, den Einfluss europäischer Politik auf Kommunen, die europäische Verfassung, die europäische Sicherheitsstrategie, den Kampf gegen Hunger und Armut in Entwicklungsländern und die Situation in Venezuela. Hinzu kamen Veranstaltungen mit europäischen Gewerkschaftsvertretern zu Themen wie Betriebsverlagerungen und Massenentlassungen, außerdem Treffen mit Friedensaktivisten aus Israel und Palästina. Wir haben am Europäischen Sozialforum in London und der dort beschlossenen Großdemonstration gegen Sozialabbau in Europa am 19. März 2005 in Brüssel teilgenommen. Am Vorabend der Demonstration haben wir mit unserer Fraktion eine Anhörung zur EU-Dienstleistungsrichtlinie veranstaltet, die mit 160 Teilnehmern zur bestbesuchten Anhörung im Europäischen Parlament wurde und im Hinblick auf die Demonstration ein besonderes politisches Gewicht einbrachte. Unsere Abgeordneten traten und treten auf Veranstaltungen der nationalen Delegationen unserer Fraktion auf, zum Beispiel in Portugal, Frankreich, Italien, Irland, Tschechien und Zypern.

Über diese auf Europa konzentrierte Arbeit hinaus engagieren sich die Mitglieder der PDS-Delegation auch weltweit. Wir waren beim Weltsozialforum in Porto Alegre, haben an der Konferenz in Nairobi zur Ächtung von Landminen und an Treffen linker Kräfte in Venezuela, Nicaragua und Uruguay teilgenommen. Delegationsreisen des Europäischen Parlaments führten uns in Länder wie Chile, Bolivien, Japan, wo wir ebenfalls sozialistische Positionen vertraten. Das Engagement eines unserer Mitglieder im Irak und in Afghanistan hat europaweit für Anerkennung gesorgt.

Bestandteil unserer Arbeit sind darüber hinaus so wichtige Aufgaben wie der Empfang von Besuchergruppen; allein in diesem Jahr konnten wir 14 begrüßen. Schulklassen, Gruppen von Studierenden, Gewerkschaftern, Mitstreitern in MigrantInnenorganisationen, PDS-Aktivisten nutzen diese Gelegenheit, um sich in Brüssel und Strasbourg ein Bild zu machen. Nicht minder wichtig ist für uns die Beschäftigung von Praktikantinnen und Praktikanten, was uneigennützig und eigennützig zugleich ist: Praktika eröffnen insbesondere jungen Menschen einen Einblick in die Arbeit des EP, und gleichzeitig ist uns ihr Engagement eine wertvolle Hilfe in unserer täglichen Arbeit.

Natürlich agiert die PDS-Delegation im Europäischen Parlament nicht im luftleeren Raum. Wir arbeiten in einem engen Kontakt mit unterschiedlichen Organisationen und Institutionen in der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Ländern und insbesondere im Rahmen der verschiedenen Partei- und Parlamentsstrukturen. So gibt es regelmäßige Treffen der europapolitischen Sprecher der PDS, wir sind eingebunden in die kontinuierlich stattfindende Konferenz der Fraktionsvorsitzenden und nehmen an der wöchentlichen Telefonschaltkonferenz des Parteivorstandes teil, um unmittelbar den politischen Austausch der Delegation mit unseren beiden Mitstreiterinnen im Bundestag, dem Parteivorstand und den Vertretern der Landtagsfraktionen zu organisieren. Gleichfalls engagieren wir uns in den zu Hause existierenden Arbeitskreisen, so im Arbeitskreis der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitiker. Und wir bestreiten jede Menge Veranstaltungen, deren Zahl schwer zu schätzen ist: in Schulen, bei gesellschaftlichen Organisationen, bei Gewerkschaften, unterschiedlichen Gliederungen der PDS (vorrangig in Basisgruppen), kommunalpolitischen Vertretungen, wirtschaftspolitischen Vereinigungen, sozial engagierten Verbänden.

Auf Gebieten, auf denen wir selbst nicht über ausreichende Fachkompetenz verfügen, haben wir eine gute Zusammenarbeit mit den entsprechenden Fachreferenten und Sprechern aus Landtagen und PDS-Strukturen. Das betrifft insbesondere die Bereiche Landwirtschaft und Umwelt. Diese Kooperation hat uns zum Beispiel in die Lage versetzt, uns bei der Debatte um die Chemikalienrichtlinie (Reach) aktiv einzubringen und deren politische Ausrichtung durch qualifizierte Änderungsanträge nicht unwesentlich positiv zu beeinflussen. Auf diese Weise gelang es uns, eine Balance zwischen den widerstreitenden Interessen der Zucker produzierenden Unternehmen in der Europäischen Union und den Anforderungen von Entwicklungsländern auf diesem Gebiet herzustellen.

Neben all diesen Aktivitäten engagieren sich die PDS-Abgeordneten nicht nur in politischer, sondern auch in finanzieller Hinsicht. Das von uns und unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im ersten Jahr der Legislaturperiode aufgebrachte Spendenaufkommen beläuft sich auf etwa 90.000 Euro. Mit diesem Geld haben wir einerseits Aktivitäten der Partei, andererseits viele kleine Projekte unterstützt, die ohne diese Zuschüsse ihr politisches Engagement nicht im vorgesehenen Umfang hätten weiterführen können.

Selbst wenn ich mich der Gefahr aussetze, wichtige politische Bereiche, die wir in den Ausschüssen bearbeiten, nicht zu erwähnen, möchte ich die folgenden vier aktuellen politischen Hauptschwerpunkte der PDS-Delegation benennen: den EU-Verfassungsvertrag (auch wenn es dabei eine diametral entgegengesetzte Meinung eines Mitglieds unserer Gruppe gibt), die Dienstleistungsrichtlinie („Bolkestein-Richtlinie“), die Chemikalienrichtlinie und die Arbeitszeitrichtlinie. Wir haben uns bemüht, diese parlamentarischen Debatten in die Gesellschaft zu transportieren, was uns in unterschiedlichem Maße gelungen ist. Zur Verfassung und zur Dienstleistungsrichtlinie hatten wir Broschüren und Flyer produziert, die wir mit Auflagen von mehr als 100.000 Exemplaren verteilt haben. Zu den genannten Bereichen haben wir unzählige Veranstaltungen in der gesamten Bundesrepublik und in anderen Mitgliedsländern der EU durchgeführt, insbesondere in Frankreich, um unsere französischen Genossinnen und Genossen in ihrer Kampagne zum Verfassungsreferendum zu unterstützen.

Im Zuge der Debatte um die EU-Dienstleistungsrichtlinie haben wir Musterbriefe und Musterresolutionen angeboten, die als Basis für Anträge zur Verhinderung dieses Liberalisierungsprojektes in Landtagen, Kreistagen und Städten dienten. Eine breite kommunalpolitische Diskussion konnte in Gang gesetzt werden. Dies hat uns auch ein Zusammenrücken mit Einzelgewerkschaften, attac und sogar Mittelstandsverbänden gebracht. Die Debatten um die Dienstleistungs- und die Arbeitszeitrichtlinie halfen, die europäische Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Inzwischen gibt es ein größeres Interesse dafür, wie sich das neoliberale Gesamtkonzept der politischen Eliten in Europa konkret in praktischer Politik äußert und wie das Diktum der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb dem Ziel eines sozialen Europas entgegenwirkt. Alle Analysen besagen, dass es insbesondere mit der Verfassungsdebatte in Frankreich gelungen ist, diese Zusammenhänge darzustellen und den Forderungen nach einem sozialen und friedlichen Europa Gehör zu verschaffen.

Sieben unterschiedliche Charaktere

Trotz der Vielzahl und Vielfalt politischer Aktivitäten der PDS-Delegation in der GUE/NGL-Fraktion muss ich leider konstatieren, dass unsere interne Zusammenarbeit keinesfalls reibungslos funktioniert. Wir sind sieben sehr unterschiedliche Charaktere, die zum Teil auch politisch stark divergieren, und dies nicht nur in der Frage der EU-Verfassung. Das Interesse an tatsächlich gemeinsamen Aktivitäten der gesamten Gruppe ist bei Einzelnen sehr stark, bei anderen überhaupt nicht ausgeprägt. Dies hat sich bei der Aufstellung des Haushaltsplanes unserer Delegation gezeigt. Die Verteilung von Finanzen ist auch Ausdruck von politischer Schwerpunktsetzung. Es stellt sehr wohl einen Unterschied dar, ob die Gelder für gemeinsame politischen Aktivitäten oder aber den einzelnen Abgeordneten für die Schwerpunktlegung ihrer individuellen politischen Ausrichtung zur Verfügung gestellt werden. Natürlich gibt es eine gewisse Konkurrenz, wenn verschiedene Abgeordnete auf gleichen politischen Feldern arbeiten. Gerade dann ist aber eine besonders enge Abstimmung erforderlich ist. Dies jedoch ist leider nicht immer gegeben. Es ist wichtig und von uns allen gewollt, unsere Arbeit öffentlichkeitswirksam zu verkaufen. Das darf aber nicht in einen Verdrängungswettbewerb münden. Klar ist, dass Besonderheiten zu berücksichtigen sind, wenn eine PDS-Delegation aus PDS- und Nicht-PDS-Mitgliedern zusammengesetzt ist. Aber wir haben alle auf der Basis des PDS-Wahlprogramms kandidiert. Wir sind nicht per Direktwahl, sondern alle über die PDS-Liste gewählt worden und in diesem Sinne eben nicht unabhängig: Wir sind im Europäischen Parlament, weil die Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme der PDS gegeben haben. Natürlich ist es oft kompliziert, gemeinsame Termine zu finden, wenn die Ausschüsse zu völlig unterschiedlichen Zeiten tagen. Aber die Teilnahme an Delegationssitzungen sollte trotzdem für alle Mitglieder eine Selbstverständlichkeit sein. Ebenso wäre es ein besseres Zeichen des gemeinsamen Kämpfens, wenn sich nicht nur fünf, sondern alle sieben Delegationsmitglieder an der Finanzierung des gemeinsamen Büros in Frankfurt/Main beteiligen würden.- Dies ist kein defätistischer Rückblick, sondern die Beschreibung von Umständen, die zu verbessern sind und verbessert werden können, wenn der gemeinsame Wille dazu besteht.

Die Verbesserung von Zusammenhalt und Zusammenarbeit in der PDS-Delegation ist umso wichtiger, als die Delegation in der GUE/NGL-Fraktion eine zentrale Position einnimmt und auf internationaler Ebene für linke Partnerparteien eine wichtige Ansprechpartnerin darstellt. Im Rahmen unserer Möglichkeiten pflegen wir eine enge Zusammenarbeit mit der Europäischen Linkspartei (EL) und dem NELF (New European Left Forum) und beteiligen uns an der Ost-West-Konferenz. Über die Fraktion pflegen wir die Kontakte zum lateinamerikanischen Foro Sao Paolo. Die Delegation leistet damit einen wichtigen Beitrag, die Internationalität der PDS zu dokumentieren und zu befördern. Das Zusammentreffen unterschiedlichster Auffassungen in unserer konföderalen Fraktion und in der Zusammenarbeit mit linken Parteien sind etwas Befruchtendes. Die Arbeit in internationalen Strukturen zeigt im Übrigen, dass anderswo ähnliche Debatten geführt werden wie zu Hause in der PDS. Einige Mitgliedsparteien unserer Fraktion sind beispielsweise auf nationaler oder regionaler Ebene in Regierungsverantwortung; auf der anderen Seite sind Parteien mit ausgeprägt oppositionellem Charakter vertreten.

Nicht zuletzt angesichts der unerwarteten Bundestagswahl muss die PDS-Delegation im Europäischen Parlament jetzt an einem Strang ziehen und ihren Beitrag dazu leisten, dass die PDS wieder mit starker Präsenz in den Bundestag einzieht. Ich denke, dass das Potenzial dazu vorhanden ist und es im Interesse von uns allen liegt, einen Großteil unserer Kräfte für den Bundestagswahlkampf zu mobilisieren.

Dr. Helmuth Markov ist Sprecher der siebköpfigen PDS-Delegation im Europäischen Parlament

Die PDS-Delegation im Europäischen Parlament – André Brie, Sylvia-Yvonne Kaufmann, Helmuth Markov, Tobias Pflüger, Feleknas Uca, Sahra Wagenknecht und Gabi Zimmer – ist die stärkste nationale Delegation in der Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL). Die GUE/NGL stellt mit 41 Mitgliedern aus 14 Ländern und 17 Parteien die fünfstärkste Fraktion im Parlament. Zur PDS-Mannschaft gehören außerdem sechs Beschäftigte der Fraktion und 18 persönliche Mitarbeiter/innen in Brüssel und in den Wahlkreisbüros. Zusätzlich zu den einzelnen Wahlkreisbüros haben fünf Abgeordnete ein weiteres gemeinsames Büro in Frankfurt am Main errichtet.