Manchester lässt grüßen. Gegen Deregulierung der Arbeitszeitrichtlinie zu Lasten der Beschäftigten – Artikel erschienen in Neues Deutschland, 13.05.2005
Das Europaparlament hat am Mittwoch in Erster Lesung Änderungsanträge zum Vorschlag der Europäischen Kommission für die Revision der EU-Arbeitszeitrichtlinie beschlossen.
Die derzeit gültige Arbeitszeitrichtlinie ist seit 1993 in Kraft. Sie begrenzt die maximale durchschnittliche Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden – eine Zahl, die dem ILO-Abkommen C1 aus dem Jahr 1919 (!) entspricht. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit wird über einen Zeitraum von vier Monaten bestimmt. So kann die Arbeitszeit in einer Woche bereits jetzt auf bis zu 78, unter bestimmten Bedingungen sogar auf 89 Stunden ausgeweitet werden. Und der Vorschlag der Kommission will die Flexibilisierung der Arbeitszeiten noch weiter ausdehnen.
Über Gesetze und Verordnungen könnten die EU-Mitgliedstaaten generell Jahresarbeitszeitmodelle verfügen. Bisher erlaubt die Richtlinie dies nur als Ausnahme auf Basis von Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen. Gleichzeitig will die Kommission die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu Bereitschaftszeiten zunichte machen. Der EuGH hatte in mehreren Urteilen verfügt, dass am Arbeitsplatz verbrachte Bereitschaftszeiten als Arbeitszeit zu werten sind. Die Kommission will nun bei der Bereitschaftszeit zwischen einem aktiven und einem »inaktiven« Teil unterscheiden. Der inaktive Teil gilt nicht als Arbeitszeit.
Das Europäische Parlament fordert immerhin, die so genannte Opt-out-Regelung in der bestehenden Richtlinie abzuschaffen – vier Jahre, nachdem die Änderung der Richtlinie in Kraft getreten ist. Nach dem Opt-out (deutsch: wahlweiser Austritt) können Arbeitnehmer individuell durch »freiwillige« schriftliche Erklärung einwilligen, auf den Mindestschutz der Richtlinie in punkto maximale Wochenarbeitszeit zu verzichten. Die Abschaffung der Opt-out-Regelung wird von der linken Fraktion im EU-Parlament vehement unterstützt.
Ansonsten will aber auch das Parlament mehr Arbeitszeitflexibilisierung. Durch Gesetze und Verordnungen der Mitgliedstaaten soll der Bezugszeitraum zur Berechnung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit auf 12 Monate für jene Bereiche ausgedehnt werden können, deren Beschäftigte keiner Kollektivvereinbarung unterliegen. Auch das Parlament unterscheidet zwischen aktiver und »inaktiver« Bereitschaftszeit. Beide sollen in der Regel als Arbeitszeit gelten. Durch nationalstaatliche Gesetze und Verordnungen soll aber eine besondere Anrechnung des inaktiven Teils ermöglicht werden. Acht Stunden inaktive Bereitschaftszeit könnten dann als eine Minute, zwei Stunden oder voll als Arbeitszeit gewertet werden. So fordert auch die Mehrheit des Europäischen Parlaments den Abbau des bestehenden niedrigen Schutzniveaus der Richtlinie.
Da aber mit einer raschen Entscheidung im Rat nicht zu rechnen ist, muss die Zeit genutzt werden, den Widerstand gegen die Deregulierung der Arbeitszeitrichtlinie zu stärken. Alternativen müssen diskutiert werden: Arbeitszeit verkürzen, damit die Menschen Erwerbs- und Privatleben besser vereinbaren können. Angesichts anhaltend hoher Massenerwerbslosigkeit ist dies der wirtschaftspolitisch gebotene Kurs. Daraus ergibt sich die Forderung nach einem neuen EU-Arbeitszeitstandard:
Die maximale Wochenarbeitszeit muss in einem ersten Schritt nach oben drastisch begrenzt werden (z.B. auf 42 Wochenstunden).
Alle »Anreize« (Steuer, Lohnnebenkosten, Sozialversicherung etc.) für prekäre Beschäftigungsverhältnisse müssen abgeschafft werden.
Teilzeitarbeit muss als substanzielle, geschützte Teilzeitarbeit (15-
25 Wochenstunden) gestaltet werden – für alle, die Teilzeit wollen.
Voll- und Teilzeitarbeit müssen im Hinblick auf Karrierechancen, Stundenentgelten, Sozialleistungen, Weiterbildung usw. gleichgestellt werden.
Helmuth Markov (PDS) ist Mitglied im Ausschuss für internationalen Handel des Europaparlaments. Klaus Dräger ist dort Mitarbeiter der linken Fraktion.
(ND 13.05.05)