Eine europäische Kampagne gegen die Bolkestein-Direktive Artikel erschienen in italienischer Übersetzung in „Liberazione“, 17. März 2005

Im Februar des vergangenen Jahres hat die EU-Kommission ihren Entwurf einer „Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt“ vorgelegt. Das Dokument, das nach dem Namen des damaligen Wettbewerbskommissars Frits Bolkestein auch als „Bolkestein-Richtlinie“ bekannt geworden ist, ist Teil der Kommissionsstrategie zur so genannten „Vertiefung des EU-Binnenmarktes“, hinter der sich neue Liberalisierungsprojekte und der Angriff auf das europäische Sozialmodell verbergen. Die Richtlinie zur Liberalisierung des Dienstleistungsbinnenmarktes ist nichts anderes als die europäische Version des GATS: da die GATS-Verhandlungen in der WTO nicht recht von der Stelle kommen, will die Kommission jetzt EU-weit Fakten schaffen. Die von der Bolkesteinrichtlinie betroffenen Bereiche machen 50% der Wirtschaftstätigkeit der EU aus, was erklärt, warum es die Kommission so eilig mit der Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes hat und warum die großen privaten Dienstleistungsunternehmen einen so großen Druck ausüben, um bisher öffentlich geführte Dienstleistungsbereiche endlich in ihre Regie zu übernehmen.

Der Richtlinienentwurf ist von linken Parteien und Bewegungen von Anfang an scharf kritisiert worden. Der Hauptkritikpunkt besteht darin, dass mit der Richtlinie, sollte sie so in Kraft treten, ein europaweites Sozialdumping in bisher ungekannten Ausmaßen einsetzen würde. Kern der Richtlinie ist das Herkunftslandprinzip, wonach Sozial-, Qualitäts- und andere Standards gezielt unterwandert werden können und sich langfristig die niedrigsten Standards in ganz Europa durchsetzen würden. Darüber hinaus greift die Richtlinie massiv in nationalstaatliche Kompetenzen und die Kompetenzen der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften ein und unterwandert so das Subsidiaritätsprinzip. Das haben mittlerweile auch die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten verstanden.

Die PDS hat von Beginn an die geplante Dienstleistungsliberalisierung zu einem zentralen Feld ihrer politischen Aktion gemacht. Im Mittelpunkt unserer Aktivitäten standen und stehen die Aufklärung und Information – zunächst innerhalb der Parteistrukturen, dann insbesondere gegenüber der Öffentlichkeit. Zentrales Element dabei war und ist die Koordination mit anderen Bewegungen und Organisationen, insbesondere den großen Gewerkschaften und attac. Wir können für uns durchaus in Anspruch nehmen, durch unsere Informationsaktivitäten zu einer Sensibilisierung der Öffentlichkeit, insbesondere der direkt betroffenen Gruppen, entscheidend beigetragen zu haben. Einige Gewerkschaften wie ver.di standen beispielsweise der Bolkestein-Direktive anfangs eher positiv gegenüber. Sie haben ihre Haltung aber mittlerweile revidiert und machen jetzt ebenfalls gegen die Dienstleistungsrichtlinie mobil – was auch ein Verdienst der PDS-Kampagne ist.

Die PDS-Gruppe im Europäischen Parlament hat einen Informationsflyer zur Bolkesteinrichtlinie in großer Auflage produziert und gibt jetzt eine Broschüre mit ausführlichen Hintergrundinformationen in Druck. In den Städten und Gemeinden organisiert die PDS deutschlandweit Infostände, die auf großes Interesse stoßen. Die PDS-Europaabgeordneten und ihre Mitarbeiter/innen bestreiten seit Monaten öffentliche Diskussionsveranstaltungen zu den Inhalten und Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie – bei Gewerkschaften, bei Verbänden und Vereinen, mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern. Die Anfragen zu Veranstaltungen häufen sich, und mittlerweile haben wir Organisationen auf die Seite der Bolkestein-Gegner ziehen können, von denen wir das ursprünglich nicht erwartet hätten – so beispielsweise den Zentralverband des deutschen Handwerks.

Das zweite Standbein unserer Kampagne gegen die Dienstleistungsrichtlinie ist die parlamentarische Aktion. Im Europäischen Parlament ist die Fraktion der GUE/NGL und mit ihr die PDS-Abgeordneten sehr aktiv gegen die Bolkesteinrichtlinie tätig. Zwei GUE/NGL-Abgeordnete sind Berichterstatterinnen in den Fachausschüssen; es gibt eine Fraktionsarbeitsgruppe, die die parlamentarische Arbeit der Fraktion in den einzelnen Ausschüssen miteinander abstimmt und gemeinsame Anträge erarbeitet. Am 18. März, dem Vortag der großen Demonstration für ein soziales, solidarisches, gleichberechtigtes und friedliches Europa, wird unsere Fraktion in Brüssel gemeinsam mit attac, dem Sozialforum und der Internationalen demokratischen Frauenföderation eine große Anhörung zur Dienstleistungsrichtlinie durchführen.

Die PDS im Europäischen Parlament hat einen parlamentarischen Musterantrag gegen die Dienstleistungsrichtlinie erarbeitet, der in die PDS-Fraktionen aller parlamentarischen Ebenen verteilt wurde. Ziel war es, flächendeckend im Bundestag, allen Landesparlamenten und möglichst vielen Regional- und Lokalparlamenten eine Debatte über die Dienstleistungsrichtlinie anzustoßen und den parlamentarischen Widerstand gegen die Richtlinie zu organisieren, denn die von der Kommission geplante Dienstleistungsliberalisierung greift in Deutschland massiv in die Kompetenzen der Regional- und Lokalgesetzgebung ein. Dieser Antrag ist mittlerweile von den PDS-Fraktionen aller Landtage und in etwa 50 Regionalparlamenten eingereicht worden und hat zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Richtlinie geführt. Der parlamentarische Musterantrag liegt auch in englisch und französisch vor und ist mit einem ausführlichen Hintergrundpapier an die befreundeten Linksparteien in den einzelnen Ländern geschickt worden, mit dem Vorschlag, dort ebenfalls eine landesweite parlamentarische Kampagne gegen die Richtlinie zu starten.

Unsere Bemühungen, mit umfangreichen Mitteln gegen die Dienstleistungsrichtlinie mobil zu machen, haben sich gelohnt. Trotz der auf den ersten Blick sehr trockenen Materie ist die Öffentlichkeit alarmiert und sich der politischen Brisanz des Themas bewusst geworden. Zahlreiche Organisationen haben sich dem Kampf gegen die Dienstleistungsliberalisierung angeschlossen. Selbst wenn es nicht gelingen wird, die Richtlinie komplett zu stoppen, so ist doch Bewegung in die Debatte gekommen. Ein erster Erfolg ist sicherlich, dass die Richtlinie bereits unter niederländischer Ratspräsidentschaft abgeschwächt worden ist und die Argumentation gegen die Richtlinie auch in den Mitgliedstaaten zugenommen hat. Sowohl im Europäischen Parlament als auch im Europäischen Rat wird jetzt darum gerungen, die Richtlinie weiter zu verändern. Daher lohnt es sich, den Protest zu verstärken und insbesondere mehr Druck auf die Regierungen in den Mitgliedsstaaten auszuüben.

Dank der guten Koordinierung der Bolkesteinproteste zwischen PDS, Gewerkschaften und anderen Organisationen haben sich neue Verbindungen und Kooperationsstrukturen herausgebildet, die auch für künftige Aktionen sinnvoll genutzt werden können. Ein neues Aktionsfeld deutet sich bereits an: die EU-Kommission plant eine Überarbeitung der Arbeitszeitrichtlinie, die zu massiven Einschnitten in die von der Arbeiterbewegung über Jahrzehnte erkämpften sozialen Errungenschaften führen soll. Hier müssen die guten Erfahrungen aus der Bolkesteinkampagne genutzt werden, um europaweit wirksam Protest zu organisieren. Insbesondere sollte in Zukunft die Koordinierung der europäischen Linken über die nationale Ebene hinaus verbessert werden. Unsere beiden Parteien sollten sich dies als Aufgabe auf ihre Fahnen schreiben. Wegen unserer starken Verankerung in der GUE/NGL-Fraktion im Europaparlament und in der Europäischen Linkspartei kommt uns bei der Vernetzung der europäischen Linken eine besondere Verantwortung zu.