Ein anderes Europa ist möglich – Nein zu diesem EU-Verfassungsvertrag! – Erschienen in leicht geänderter Version in der Wochenzeitung „freitag“ am 24. März 2005
Vielfach beschworen wurde der Frieden am 24. Februar in der Bundestagsdebatte über den EU-Verfassungsvertrag. Außenminister Fischer rief emphatisch aus: „Es geht nämlich darum, dieses Europa so zu schaffen, dass dauerhaft Frieden auf diesem Kontinent herrscht.“ Andere erinnerten stolz daran, dass es zwischen den EU-Mitgliedstaaten seit ihrem Zusammenschluss keinen Krieg mehr gegeben habe. Das ist zwar richtig und auch gut, aber nicht die ganze Wahrheit. Auch nach 1871 gab es keinen Krieg mehr zwischen Preußen und Bayern oder Württemberg. Wie aber sah es mit der Friedensfähigkeit des Deutschen Reiches gegenüber anderen Ländern aus? Und wie steht es um die Friedensfähigkeit einer Europäischen Union, deren Mitgliedstaaten in unterschiedlicher Konfiguration Krieg gegen Jugoslawien und im Irak führten? Vor allem: Was regelt hierzu der EU-Verfassungsvertrag?
Von Abrüstung ist im Vertragstext auch die Rede, allerdings auf eine besondere Art und Weise: Unbekümmert werden zivile und militärische Mittel vermengt und darüber hinaus auch Kriegführung zur Abrüstung Dritter – einige EU-Mitgliedstaaten konnten dies bereits im Irak testen – von den zukünftigen Bestimmungen gedeckt: Die „vorgesehenen Missionen, bei deren Durchführung die Union auf zivile und militärische Mittel zurückgreifen kann, umfassen gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung, der Aufgaben der Konfliktverhütung und die Erhaltung des Friedens sowie Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten“, so heißt es in Artikel III-309.
Mit einer Annahme des Verfassungsvertrags wird die EU damit endgültig auch zu einem Militärbündnis. Dabei unterstützt und erweitert die neue Militarisierung das Grundverständnis der EU als einer Wirtschaftsunion auf neoliberaler Grundlage: So „verpflichten“ sich die Mitgliedstaaten im Vertrag, ihre „militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“. Zu diesem Zweck wird eine Europäische Verteidigungsagentur geschaffen – bei den Konventsberatungen noch unverblümt Rüstungsagentur genannt. EVA, so das charmante Kürzel, hat u.a. den Auftrag, den „operativen Bedarf zu ermitteln und Maßnahmen zur Bedarfsdeckung zu fördern“ sowie „zur Stärkung der industriellen und technologischen Grundlage des Verteidigungssektors beizutragen“ und diese „durchzuführen“ (I-41 Abs. 3). Im Klartext: Stärkung des militärisch-industriellen Komplexes der EU als Wirtschaftsfördermaßnahme. Folgerichtig sollen, auch zur Wiederbelebung der gescheiterten Lissabon-Strategie, 1 Milliarde Euro jährlich, dies entspricht mehr als 10% der gesamten EU-Forschungsmittel, in die Sicherheits-, also Rüstungsforschung fließen – EVA hat dabei den Hut auf.
Dies steht ganz in der Linie der Wirtschaftspolitik der EU, die auch sonst vor allem das Wohl der Großkonzerne im Visier hat. Wettbewerb ist das allumfassende Credo des Verfassungsvertrags: Als Ziele werden ein „Binnenmarkt mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb“ (I-3,2) und eine „wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“ (I-3,3) fixiert. Was dies heißt, wird im entscheidenden Teil III des Vertrags, der die konkrete Ausgestaltung der EU-Politiken fixiert, ausgeführt. So findet das drohende Projekt der Schaffung eines liberalisierten Dienstleistungsbinnenmarkts (Bolkestein-Richtlinie) hier seine Grundlage (III-144-150) ebenso wie eine Öffnung bisher in öffentlicher Hand liegender Einrichtungen der Daseinsvorsorge (III-167-169) für die Privatwirtschaft. Die „soziale Marktwirtschaft“ taucht In Teil III gar nicht mehr auf, es geht hier nur noch um den „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ (III-177ff.).
Überhaupt nicht vorgesehen ist eine aktive EU-Wirtschaftspolitik zur Erreichung sozialer Ziele, so der Vollbeschäftigung. Anstatt einer europäischen Konjunkturpolitik erhebt der Text den Stabilitätspakt mit seiner Verpflichtung auf Preisstabilität in den Verfassungsrang (III-184) – genau das Gegenteil sinnvoller Arbeitsmarktpolitik. Klar nachrangig behandelt werden im Vertrag Beschäftigung, Sozialpolitik und wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Zusammenhalt.
Auch die in den Verfassungstext integrierte EU-Grundrechtecharta, die trotz ihrer gravierenden Mängel – so wurde aus dem Recht auf Arbeit das Recht zu arbeiten – oft euphorisch gefeiert wird, ändert daran nichts. Soziale Rechte, die die Charta ohnehin fast nur mit minderer Justiziabilität kennt, werden durch Erklärung 12 zum Verfassungstext noch weiter eingeschränkt. Dies entspricht kaum den Bedürfnissen der Menschen.
Kann man einem solchen Verfassungsvertrag zustimmen? Einem Vertrag, der in die völlig falsche Richtung führt? Soll die verfehlte Wirtschaftspolitik der EU, wie es Konventspräsident Giscard d´Estaing will, für die nächsten 50 Jahre Geltung haben? Möchten wir eine EU, die sich auf Aufrüstung verpflichtet und den Weg für weltweite kriegerische Einsätze bereitet?
Ich halte nichts vom Argument, der Verfassungsvertrag sei immer noch besser als der sonst weiter geltende Vertrag von Nizza. Für mich macht es keinen Sinn, einen schlechten Vertrag durch einen anderen schlechten zu ersetzen. Mir geht es um eine andere EU – für die es durchaus Alternativvorschläge gab. Nur, was ist aus ihnen geworden? Wo ist ein Rüstungsexportverbot nebst Kontrollagentur? Was wurde aus den Anträgen für eine Abrüstungsagentur? Wo ist die antifaschistische Verpflichtung? Wo die Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik, das Sozialstaatsgebot, die Sozialbindung des Eigentums? Nichts davon wurde in Konvent und Regierungskonferenz durchgesetzt. Der Verfassungsvertrag, der im Mai durch Bundestag und Bundesrat ratifiziert werden soll, steht nicht für das, was ich will: Ein friedensfähiges, demokratisches und soziales Europa. Die Ratifizierung dieses Verfassungsvertrags entfernt uns davon nur weiter!