Für eine zukunftsfähige Europäische Union – Beitrag von Sylvia-Yvonne Kaufmann, MdEP (Die Linke.PDS), Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments auf dem politischen Informationsportal politikerscreen.de

Die deutliche Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden löste in der EU ein politisches Erdbeben aus, dessen langfristigen Folgen noch nicht absehbar sind. Die Union geriet in eine Krise, die als Ratifizierungskrise der Verfassung daher kommt, aber in Wirklichkeit eine tiefgehende politische Sinn- und Zweckkrise über die weitere Entwicklungsrichtung der EU ist.

Politische Union oder Freihandelszone

Paradoxerweise hat vor allem das Nein aus Frankreich, das in erster Linie durch die Ablehnung neoliberaler Wirtschaftspolitik motiviert war, den britischen Premier, den „Meister des Liberalismus“ in Europa, in eine Führungsrolle gehievt. Tony Blair zielt auf eine Neuausrichtung der EU. Sie soll ein marktliberaler Wirtschaftsstandort mit engeren Bindungen an die USA werden. Ganz im Sinne des neoliberalen Mainstreams orientiert Blair zugleich auf den Rückbau der politischen Union, die er deshalb – wie einige seiner Chorknaben aus CDU/CSU und FDP – als „überbordende Bürokratie“, „Brüsseler Zentralismus“ oder „Superstaat“ geißelt. Im Kern geht es dabei um massive Deregulierung – vor allem des europäischen Arbeitsmarkts, aber auch einzelner Politikbereiche wie Verbraucherschutz. Faktisch führt dies hin zu einer gut geölten Freihandelszone mit beschränkter sozialer Haftung und einer protektionistischen Restdemokratie. Kapital und Multis triumphieren, denn aus ihrer Sicht existiert bereits genug Europa. Eine Verfassung, die auf demokratische Gestaltungsmacht abzielt sowie auf Sozialpolitik und Solidarität, stört dabei nur. Das aber ist genau das Gegenteil dessen, was jene Bürgerinnen und Bürger eigentlich wollen, die Nein zur Verfassung sagten.
Praktisch steht die EU am Scheideweg. Entweder wird sie hin zu einer demokratisch-republikanischen Union der Bürgerinnen und Bürger entwickelt oder aus ihr geht eine Freihandelszone de Luxe hervor, die auf die vier Grundfreiheiten für Kapital, Waren, Dienstleistungen und billigen Arbeitskräften mit Währungsunion und Stabilitätspakt beschränkt wird. Darüber ist ein scharfer politischer Richtungsstreit entbrannt. Von daher steht die künftige Bundesregierung vor der zentralen Frage, sich für eine der beiden Entwicklungsrichtungen entscheiden zu müssen. Ich plädiere für den Ausbau der EU zur Politischen Union und für ein soziales Europa, in dem Deutschland fest verankert bleibt. Als Friedens- und Fortschrittsprojekt hat die EU nur dann eine Chance, wenn sie von ihren Bürgerinnen und Bürgern getragen wird. Das wird aber nur dann der Fall sein, wenn der eigentliche Zweck der EU Mittelpunkt von Politik wird, und der muss darin bestehen, für die Menschen einen ständigen politischen, sozialen und kulturellen Mehrwert zu schaffen. Dieser Zweck geht verloren, wenn EU-Mitgliedstaaten permanent so handeln, als gehe es in der EU nicht zuförderst um diesen Mehrwert der Gemeinsamkeit, sondern darum, wer die europäische Kuh am besten im so genannten nationalen Interesse melken kann.
EU erfüllt Erwartungen nicht
Das sind Lehren, die die künftige Bundesregierung aus den Verfassungsreferenden im Hinblick auf ihre künftige Europapolitik ziehen müsste. Beide Referenden verdeutlichten die derzeitigen Probleme der EU. Nicht eine grundlegende Europafeindlichkeit der Bevölkerung führte zum Nein. Vielmehr waren es die innenpolitische Unzufriedenheit und andere Vorstellungen darüber, wie die EU aussehen soll. In Frankreich wurde das Referendum zum Volksentscheid gegen neoliberale Wirtschaftspolitik und für ein soziales Europa. Die Menschen wünschen sich eine EU, die Stabilität, Wohlstand und Beschäftigung sichert. Sie wehrten sich gegen soziale und andere Schieflagen nationaler Politik und dagegen, dass nationale Handlungsräume durch Binnenmarkt, Währungsunion und EU-Aufsicht über Industrie- und Strukturpolitik stark begrenzt werden. Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und Zukunftsängste bestimmen das gesellschaftliche Leben in den meisten EU-Staaten. Zugleich floriert das Kapital und europäische Multis verbuchen Superprofite – nicht zuletzt aufgrund Binnenmarkt, Währungsunion und EU-Erweiterung. Deshalb empfinden immer mehr Menschen, dass sie der Staat vor Globalisierung und Entgrenzung nicht schützt und dass auch im vereinten Europa Solidarität und Gerechtigkeit auf der Strecke bleiben. Die EU wird für ständigen Wandel, unsichere äußere Grenzen, verschärften Wettbewerb bzw. für Eingriffe ins soziale Netz verantwortlich gemacht. Die Menschen sind über Inhalt, Fortgang und Richtung des Integrationsprozesses verunsichert. Beide Referenden waren eine nachträgliche Abstimmung über die EU-Erweiterung und die der Türkei eröffneten Beitrittsoption. Von dieser Realität und der Arroganz ihrer Macht wurden die nationalen und europäischen Eliten jetzt eingeholt. Man nahm ihnen nicht mehr ab, dass mit der Verfassung ein sozialeres Europa möglich sei und die Union in die Lage versetzt werden könne, die mit der Globalisierung verbundenen Herausforderungen humaner zu bewältigen.
Politikwechsel erforderlich
Daraus folgt, dass sich die künftige Bundesregierung für einen deutlichen Politikwechsel in der EU einsetzen muss. Zu ersten konkreten Schritten müssten die Beerdigung der Bolkestein-Richtlinie und die Stärkung der öffentlichen Daseinsfürsorge gehören. Notwendig sind europaweite Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen durch Investitionsprogramme. Dazu gehört, dass endlich über die seit Jahren debattierten transeuropäischen Infrastrukturnetze positiv entschieden wird. Dadurch könnten europaweit viele Menschen in Arbeit gebracht werden. Dringend geboten sind Initiativen für eine gemeinsame Steuerpolitik, um Steuerdumping und Betriebsverlagerungen einzudämmen. Erforderlich sind Mindeststandards bei Löhnen, Steuern und Sozialleistungen. Dabei ist völlig klar, dass zum Beispiel die französische Sozialordnung nicht einfach nach Großbritannien oder Litauen exportiert werden kann. Ein flächendeckendes europäisches Sozialmodell kann selbstverständlich nur ein sehr langfristig zu erreichendes Ziel sein. Worauf es ankommt ist, den politischen Willen zu entwickeln, dieses Ziel schrittweise erreichen zu wollen.
Hinsichtlich des Stabilitäts- und Wachstumspakts muss die vom Europäischen Rat beschlossene Reform konsequent fortgesetzt werden. Nicht nachvollziehbar ist, dass sich CDU/CSU und FDP an die starren Regeln des Pakts klammern, obwohl doch erwiesen ist, dass er aufgrund seiner einseitigen Fixierung auf monetäre Stabilität weder wirtschaftliche Stabilität noch Beschäftigung fördert. Die beschlossenen Reformvorschläge, die den Stabilitätspakt weitgehend liquidieren, gehen in die richtige Richtung, denn es entstehen mehr Spielräume für eine wachstumsfördernde Wirtschaftspolitik. Absolut irreal ist das Versprechen der Kanzlerin in spe, bereits ab 2006 das Maastrichter Drei-Prozent-Defizitkriterium einhalten zu wollen. Auf EU-Ebene müssen endlich flankierende Regelungen her, um die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten zu koordinieren.
Die Bundesregierung sollte den Kommissionsvorschlägen zur Erhöhung des EU-Budgets aufgeschlossen gegenüberstehen, damit die mit der Erweiterung verbundenen Herausforderungen bewältigt und die großen regionalen sowie sozialen Ungleichheiten in der EU besser überwunden werden können. Ferner muss der EU-Haushalt weg von der umfangreichen Subventionierung der Landwirtschaft in Richtung Wissenschaft, Bildung und Technologie umstrukturiert werden.
Zum Politikwechsel in der EU gehört für mich, dass ihr Ausbau zur Militärmacht gestoppt und nicht länger von der Bundesregierung unterstützt wird. Die EU sollte sich vielmehr auf die präventive zivile Konfliktlösung konzentrieren und dafür die erforderlichen materiellen Voraussetzungen schaffen. Rüstung kostet Geld, das vor allem dem sozialen Bereich und der Bildung verloren geht. Abrüstung und Rüstungskonversion sind von Nöten, nicht Um- und Aufrüstung. Verhindert werden muss, dass die EU mit ihren mehr als 450 Millionen Menschen und ihrer enormen Wirtschaftskraft künftig als weltpolitischer Akteur in die Fußstapfen der von den Neokonservativen beherrschten Supermacht USA tritt.
Am Verfassungsprozess festhalten
In Frankreich und den Niederlanden gaben nur 18 Prozent aller Wählerinnen und Wähler als letztendlich entscheidendes Motiv für die Teilnahme am Referendum den EU-Verfassungsvertrag an, um den es eigentlich ging. Außerdem spielten konkrete Kritikpunkte an ihrem Inhalt, insbesondere an ihren demokratischen Neuerungen, eine nachrangige Rolle. Dies spricht dafür, grundsätzlich am Verfassungsprozess festzuhalten. Hinzu kommt, dass bereits 13 EU-Mitgliedstaaten der Verfassung zugestimmt haben. Nicht minder bedeutsam ist, dass ein neoliberaler Durchmarsch in der EU mit der Verfassung verhindert werden könnte. Voraussetzung ist jedoch, dass besagter Politikwechsel eingeleitet wird. Ohne ihn macht die Denkpause im Ratifizierungsprozess, die sich die EU-Staats- und Regierungschefs verordnet haben, nur wenig Sinn. Notwendig ist, mit der Bevölkerung in einen Dialog einzutreten. Dies ist hier zu Lande umso dringender, weil die Bürgerinnen und Bürger nicht selbst über die Verfassung abstimmen durften. Keinen Spielraum dürfen dabei jedoch verstärkt erhobene rechtspopulistische Forderungen erhalten, wonach die EU-Erweiterung im vermeintlichen Interesse der arbeitenden Menschen in Ost- wie Westeuropa gestoppt bzw. rückgängig gemacht und die vorgeblich aufgeblähte EU auf ein wohlstandsorientiertes „Kerneuropa“ zurückgestutzt werden müsse.
* Die Autorin ist Europaabgeordnete der Linkspartei.PDS und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments.

Die deutliche Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden löste in der EU ein politisches Erdbeben aus, dessen langfristigen Folgen noch nicht absehbar sind. Die Union geriet in eine Krise, die als Ratifizierungskrise der Verfassung daher kommt, aber in Wirklichkeit eine tiefgehende politische Sinn- und Zweckkrise über die weitere Entwicklungsrichtung der EU ist.

Politische Union oder Freihandelszone

Paradoxerweise hat vor allem das Nein aus Frankreich, das in erster Linie durch die Ablehnung neoliberaler Wirtschaftspolitik motiviert war, den britischen Premier, den „Meister des Liberalismus“ in Europa, in eine Führungsrolle gehievt. Tony Blair zielt auf eine Neuausrichtung der EU. Sie soll ein marktliberaler Wirtschaftsstandort mit engeren Bindungen an die USA werden. Ganz im Sinne des neoliberalen Mainstreams orientiert Blair zugleich auf den Rückbau der politischen Union, die er deshalb – wie einige seiner Chorknaben aus CDU/CSU und FDP – als „überbordende Bürokratie“, „Brüsseler Zentralismus“ oder „Superstaat“ geißelt. Im Kern geht es dabei um massive Deregulierung – vor allem des europäischen Arbeitsmarkts, aber auch einzelner Politikbereiche wie Verbraucherschutz. Faktisch führt dies hin zu einer gut geölten Freihandelszone mit beschränkter sozialer Haftung und einer protektionistischen Restdemokratie. Kapital und Multis triumphieren, denn aus ihrer Sicht existiert bereits genug Europa. Eine Verfassung, die auf demokratische Gestaltungsmacht abzielt sowie auf Sozialpolitik und Solidarität, stört dabei nur. Das aber ist genau das Gegenteil dessen, was jene Bürgerinnen und Bürger eigentlich wollen, die Nein zur Verfassung sagten.

Praktisch steht die EU am Scheideweg. Entweder wird sie hin zu einer demokratisch-republikanischen Union der Bürgerinnen und Bürger entwickelt oder aus ihr geht eine Freihandelszone de Luxe hervor, die auf die vier Grundfreiheiten für Kapital, Waren, Dienstleistungen und billigen Arbeitskräften mit Währungsunion und Stabilitätspakt beschränkt wird. Darüber ist ein scharfer politischer Richtungsstreit entbrannt. Von daher steht die künftige Bundesregierung vor der zentralen Frage, sich für eine der beiden Entwicklungsrichtungen entscheiden zu müssen. Ich plädiere für den Ausbau der EU zur Politischen Union und für ein soziales Europa, in dem Deutschland fest verankert bleibt. Als Friedens- und Fortschrittsprojekt hat die EU nur dann eine Chance, wenn sie von ihren Bürgerinnen und Bürgern getragen wird. Das wird aber nur dann der Fall sein, wenn der eigentliche Zweck der EU Mittelpunkt von Politik wird, und der muss darin bestehen, für die Menschen einen ständigen politischen, sozialen und kulturellen Mehrwert zu schaffen. Dieser Zweck geht verloren, wenn EU-Mitgliedstaaten permanent so handeln, als gehe es in der EU nicht zuförderst um diesen Mehrwert der Gemeinsamkeit, sondern darum, wer die europäische Kuh am besten im so genannten nationalen Interesse melken kann.

EU erfüllt Erwartungen nicht

Das sind Lehren, die die künftige Bundesregierung aus den Verfassungsreferenden im Hinblick auf ihre künftige Europapolitik ziehen müsste. Beide Referenden verdeutlichten die derzeitigen Probleme der EU. Nicht eine grundlegende Europafeindlichkeit der Bevölkerung führte zum Nein. Vielmehr waren es die innenpolitische Unzufriedenheit und andere Vorstellungen darüber, wie die EU aussehen soll. In Frankreich wurde das Referendum zum Volksentscheid gegen neoliberale Wirtschaftspolitik und für ein soziales Europa. Die Menschen wünschen sich eine EU, die Stabilität, Wohlstand und Beschäftigung sichert. Sie wehrten sich gegen soziale und andere Schieflagen nationaler Politik und dagegen, dass nationale Handlungsräume durch Binnenmarkt, Währungsunion und EU-Aufsicht über Industrie- und Strukturpolitik stark begrenzt werden. Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und Zukunftsängste bestimmen das gesellschaftliche Leben in den meisten EU-Staaten. Zugleich floriert das Kapital und europäische Multis verbuchen Superprofite – nicht zuletzt aufgrund Binnenmarkt, Währungsunion und EU-Erweiterung. Deshalb empfinden immer mehr Menschen, dass sie der Staat vor Globalisierung und Entgrenzung nicht schützt und dass auch im vereinten Europa Solidarität und Gerechtigkeit auf der Strecke bleiben. Die EU wird für ständigen Wandel, unsichere äußere Grenzen, verschärften Wettbewerb bzw. für Eingriffe ins soziale Netz verantwortlich gemacht. Die Menschen sind über Inhalt, Fortgang und Richtung des Integrationsprozesses verunsichert. Beide Referenden waren eine nachträgliche Abstimmung über die EU-Erweiterung und die der Türkei eröffneten Beitrittsoption. Von dieser Realität und der Arroganz ihrer Macht wurden die nationalen und europäischen Eliten jetzt eingeholt. Man nahm ihnen nicht mehr ab, dass mit der Verfassung ein sozialeres Europa möglich sei und die Union in die Lage versetzt werden könne, die mit der Globalisierung verbundenen Herausforderungen humaner zu bewältigen.

Politikwechsel erforderlich

Daraus folgt, dass sich die künftige Bundesregierung für einen deutlichen Politikwechsel in der EU einsetzen muss. Zu ersten konkreten Schritten müssten die Beerdigung der Bolkestein-Richtlinie und die Stärkung der öffentlichen Daseinsfürsorge gehören. Notwendig sind europaweite Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen durch Investitionsprogramme. Dazu gehört, dass endlich über die seit Jahren debattierten transeuropäischen Infrastrukturnetze positiv entschieden wird. Dadurch könnten europaweit viele Menschen in Arbeit gebracht werden. Dringend geboten sind Initiativen für eine gemeinsame Steuerpolitik, um Steuerdumping und Betriebsverlagerungen einzudämmen. Erforderlich sind Mindeststandards bei Löhnen, Steuern und Sozialleistungen. Dabei ist völlig klar, dass zum Beispiel die französische Sozialordnung nicht einfach nach Großbritannien oder Litauen exportiert werden kann. Ein flächendeckendes europäisches Sozialmodell kann selbstverständlich nur ein sehr langfristig zu erreichendes Ziel sein. Worauf es ankommt ist, den politischen Willen zu entwickeln, dieses Ziel schrittweise erreichen zu wollen.

Hinsichtlich des Stabilitäts- und Wachstumspakts muss die vom Europäischen Rat beschlossene Reform konsequent fortgesetzt werden. Nicht nachvollziehbar ist, dass sich CDU/CSU und FDP an die starren Regeln des Pakts klammern, obwohl doch erwiesen ist, dass er aufgrund seiner einseitigen Fixierung auf monetäre Stabilität weder wirtschaftliche Stabilität noch Beschäftigung fördert. Die beschlossenen Reformvorschläge, die den Stabilitätspakt weitgehend liquidieren, gehen in die richtige Richtung, denn es entstehen mehr Spielräume für eine wachstumsfördernde Wirtschaftspolitik. Absolut irreal ist das Versprechen der Kanzlerin in spe, bereits ab 2006 das Maastrichter Drei-Prozent-Defizitkriterium einhalten zu wollen. Auf EU-Ebene müssen endlich flankierende Regelungen her, um die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten zu koordinieren.

Die Bundesregierung sollte den Kommissionsvorschlägen zur Erhöhung des EU-Budgets aufgeschlossen gegenüberstehen, damit die mit der Erweiterung verbundenen Herausforderungen bewältigt und die großen regionalen sowie sozialen Ungleichheiten in der EU besser überwunden werden können. Ferner muss der EU-Haushalt weg von der umfangreichen Subventionierung der Landwirtschaft in Richtung Wissenschaft, Bildung und Technologie umstrukturiert werden.

Zum Politikwechsel in der EU gehört für mich, dass ihr Ausbau zur Militärmacht gestoppt und nicht länger von der Bundesregierung unterstützt wird. Die EU sollte sich vielmehr auf die präventive zivile Konfliktlösung konzentrieren und dafür die erforderlichen materiellen Voraussetzungen schaffen. Rüstung kostet Geld, das vor allem dem sozialen Bereich und der Bildung verloren geht. Abrüstung und Rüstungskonversion sind von Nöten, nicht Um- und Aufrüstung. Verhindert werden muss, dass die EU mit ihren mehr als 450 Millionen Menschen und ihrer enormen Wirtschaftskraft künftig als weltpolitischer Akteur in die Fußstapfen der von den Neokonservativen beherrschten Supermacht USA tritt.

Am Verfassungsprozess festhalten

In Frankreich und den Niederlanden gaben nur 18 Prozent aller Wählerinnen und Wähler als letztendlich entscheidendes Motiv für die Teilnahme am Referendum den EU-Verfassungsvertrag an, um den es eigentlich ging. (1) Außerdem spielten konkrete Kritikpunkte an ihrem Inhalt, insbesondere an ihren demokratischen Neuerungen, eine nachrangige Rolle. Dies spricht dafür, grundsätzlich am Verfassungsprozess festzuhalten. Hinzu kommt, dass bereits 13 EU-Mitgliedstaaten der Verfassung zugestimmt haben. Nicht minder bedeutsam ist, dass ein neoliberaler Durchmarsch in der EU mit der Verfassung verhindert werden könnte. Voraussetzung ist jedoch, dass besagter Politikwechsel eingeleitet wird. Ohne ihn macht die Denkpause im Ratifizierungsprozess, die sich die EU-Staats- und Regierungschefs verordnet haben, nur wenig Sinn. Notwendig ist, mit der Bevölkerung in einen Dialog einzutreten. Dies ist hier zu Lande umso dringender, weil die Bürgerinnen und Bürger nicht selbst über die Verfassung abstimmen durften. Keinen Spielraum dürfen dabei jedoch verstärkt erhobene rechtspopulistische Forderungen erhalten, wonach die EU-Erweiterung im vermeintlichen Interesse der arbeitenden Menschen in Ost- wie Westeuropa gestoppt bzw. rückgängig gemacht und die vorgeblich aufgeblähte EU auf ein wohlstandsorientiertes „Kerneuropa“ zurückgestutzt werden müsse.

1 Vgl. Flash Eurobarometer der Europäischen Kommission: The European Constitution: Post-referendum survey in France, Juni 2005 und The European Constitution: Post-referendum survey in The Netherlands, Juni 2005.

Quelle:
http://www.politikerscreen.de/static/dossier/BTW2005/295.htm