Gummischleuder und Kanone – Artikel von Sylvia-Yvonne Kaufmann, MdEP und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, leicht gekürzt erschienen im Neuen Deutschland vom 25.02.2005
Artikel von Sylvia-Yvonne Kaufmann, MdEP und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments im Neuen Deutschland vom 25.02.2005
Beim konkreten Thema Frieden – so belegt eine jüngst für die PDS erarbeitete Studie – wird der Partei kaum Zukunftskompetenz zugeschrieben. Die Werte im Osten liegen bei mageren zwei Prozent, im Westen sind sie gar nicht messbar. Das ist vor allem auch deshalb alarmierend, weil die aktuellen Militarisierungsprozesse in der Europäischen Union mit Recht wieder und wieder kritisiert werden – so die Schaffung von Interventionscorps oder die für die Mitgliedstaaten in der Europäischen Verfassung verankerte Pflicht zur „Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten“. Sowohl diejenigen, die die Verfassung ablehnen, als auch jene in der PDS, die das nicht tun, verurteilen unisono die Militarisierung der EU. Offensichtlich reicht diese Handlungsebene aber nicht aus, um als Partei europäische Zukunfts- und Friedenskompetenz zu erwerben. Das liegt wohl daran, dass es an Differenzierung, konzeptioneller Tiefe und überzeugenden Gegenstrategien mangelt, um Bürgerinnen und Bürger auch wirklich anzusprechen und so den Friedenskampf auf eine neue, aktuelle Stufe zu heben.
Ein markantes Beispiel dafür ist die von einigen Aktivisten in und außerhalb der PDS in die Welt gesetzte Behauptung, die EU werde „mehr und mehr den USA ähnlicher“. Im arglosesten Fall ist das Realitätsverdrängung. Fast jedes Schulkind weiß, dass militärisch – und darauf kommt es hier vor allem an – der Unterschied zwischen der EU und den USA so groß ist wie der zwischen einer Gummischleuder und einer Kanone, und daran wird sich auch absehbar nichts ändern. Nicht die EU, sondern die Bush-Administration bedroht derzeit dramatisch die internationale Sicherheit und den Weltfrieden, wie das jüngste Säbelrasseln Washingtons gegenüber dem Iran beweist. Schwer wiegend und lang ist zudem die Liste akuter Differenzen zwischen Europa und der einzig verbliebenen Supermacht – bei Umweltfragen (Kyoto-Protokoll), zum Internationalen Strafgerichtshof, im Hinblick auf die Zerstörung des Rüstungskontrollsystems durch die USA, zur präventiven Militärschlagsdoktrin der Bush-Regierung oder zu ihrer Geringschätzung der UNO und deren Charta.
Genau das ist es, was politisch interessierte Menschen tagtäglich wahrnehmen. Sie registrieren, dass viele europäische Staaten und auch die EU nicht bereit sind, dem Kurs der Neo-Konservativen um Bush blindlings zu folgen. Unzufrieden sind viele aber damit, dass die Bereitschaft zu Kritik und Alternativen in Europas Hauptstädten mäßig ist. Das wird jedoch eher als Ausdruck einer elementaren Schwäche Europas empfunden, denn noch immer spricht die EU international nicht mit einer Stimme. Zugleich gewinnt aber die Vorstellung an Boden, dass sich Europa der US-amerikanischen Bevormundung entledigen müsse – so wie beim Irakkrieg, als sich die europäischen Völker einmütig und immerhin auch einige Regierungen, darunter erstmals die Bundesregierung, gegen Washington stellten.
Auch in der EU entwickelten sich zwecks Wahrung eigener politischer und wirtschaftlicher Interessen Tendenzen in Richtung mehr Emanzipation von den USA, und zwar bei der Ausgestaltung einer eigenständigen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Washington ein Dorn im Auge ist. Obwohl diese Forderungen zum Teil wieder zurückgezogen wurden, verstummen sie nicht, wie die jüngste Kritik von Bundeskanzler Schröder am „transatlantischen Dialog“ zeigt. Alles das sollte uns beflügeln, dieses Thema nicht länger zu tabuisieren, sondern hier eigene, realitätstaugliche Emanzipations- und Zukunftsstrategien für Europa zu entwickeln. Dazu gehört auch, wie Europa den Friedensprozess zwischen Palästinensern und Israelis aktiver unterstützen kann. Wir sollten stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken, dass sich die EU für mehr Entwicklungshilfe, Abrüstungsinitiativen, Konversion sowie für Konfliktprävention und zivile Konfliktlösungen engagieren muss.