Keine Kongo-Untersuchung im EU-Sicherheitsausschuss, von Tobias Pflüger (MdEP), erschienen in Analyse und Kritik (AK) 498
Auf der Sitzung des Unterausschusses Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments erklärte der Vorsitzende, der deutsche Christdemokraten Karl von Wogau, auf erneute Anfrage, dass die Verantwortlichen des EU-Polizeieinsatzes im Kongo sich wieder einmal nicht gemeldet hätten. Alle Versuche sie nach Brüssel zu laden seien bisher vergeblich geblieben. Vielleicht würden sie bei der nächsten Sitzung im Oktober erscheinen. Was war geschehen?
Mit Gewalt waren Armee und Polizei Ende Juni 2005 in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa gegen Demonstranten vorgegangen, die einem Aufruf von Oppositionsparteien zu friedlichen Protesten gegen die Verschiebung der Wahlen gefolgt waren. Zuvor war von offizieller Seite das Gerücht lanciert worden, die Demonstranten hätten sich mit Macheten bewaffnet. Von den kongolesischen Polizeikräften wurden mehre Menschen getötet, Journalisten verhaftetet und Beweismaterial vernichtet. Zudem wurde der Ausnahmezustand verhängt. Es deutet einiges darauf hin, dass die beteiligten Einheiten zuvor von EU-Personal ausgebildet wurden. Sicher ist hingegen, dass zur Zeit der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste EU-Militärberater nahezu an allen wichtigen Schaltstellen der offiziellen kongolesischen Sicherheitskräfte ihren Dienst versahen.
Die Europäische Union bildet gegenwärtig im Kongo Polizeitruppen (EUPOL Kinshasa) aus, die auch in der Hauptstadt Kinshasa eingesetzt werden. Außerdem sind seit dem 8. Juni 2005 EU-Militärberater (EUSEC D.R. Kongo) unter anderen im „Büro des Verteidigungsministers“ und „im Generalstab“ tätig. (http://ue.eu.int/uedocs/cmsUpload/Background-23.5.05.en.pdf) Praktisch sitzen im Rahmen der EUSEC-Mission EU-Militärberater in wichtigen Schaltstellen der kongolesischen Sicherheitsbehörden. Ihre Aufgabe lautet offiziell „Rat und Hilfe für eine Reform des Sicherheitssektors“.
Mit beiden Einsätzen leistet die EU Aufbauhilfe für eine Armee und Polizei, die der Regierung unterstellt sind. Diese Regierung wurde 2003 im Rahmen des „Friedensprozesses“ aus den Führern der größten Milizen, die zuvor einen blutigen Bürgerkrieg um die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen geführt haben, gebildet. Der Krieg hat mittlerweile an Intensität nachgelassen, wird aber im stillen Einverständnis der Regierungsmitglieder und unter Beteiligung ihrer Milizen weitergeführt. Die nun verschobenen Wahlen waren in der Verfassung des Übergangs vorgesehen worden, um die Warlords durch gewählte Repräsentanten zu ersetzen. Die Regierung, die sie vorbereiten soll, hat aber kein Interesse daran. Zuletzt verhinderte sie Anfang September per Intervention beim Medienrat, dass sich die Antretenden Parteien in den Medien darstellen können. Am ernsthaftesten setzt sich die UN für die Wahlen ein, bemängelt aber fehlende Unterstützung dieses Projektes unter Anderem von der EU. Die Europäische Union aber trainiert neue kongolesische Polizeieinheiten und bewaffnet sie. Bemerkenswert ist, das dies alles auch noch teilweise Geldern aus dem EU-Entwicklungshilfetopf finanziert wird.
Es sollte selbstverständlich sein, dass es eine sofortige Untersuchung des Europäischen Parlaments, ob beim gewaltsamen Vorgehen gegen Oppositionelle gestern in Kinshasa auch von der EU ausgebildete Polizeitruppen beteiligt waren, geben muss. Die Tatsache, dass eine solche Untersuchung verzögert wird, erhärtet den Verdacht gegen die EU-Verantwortlichen.
Zudem müssten jetzt, gerade nach der Verhängung des Ausnahmezustandes, die EU-Militärberater abgezogen werden. Die EU darf sich nicht an der Aufrechterhaltung einer Militärregierung im Kongo und an der Niederschlagung der demokratischen Proteste im Kongo beteiligen.
Man muss sich fragen: Was macht die EU eigentlich im Kongo?
Dazu ist zweierlei wichtig:
Offiziell tritt der EU-Polizei-Einsatz die Nachfolge der EU-Militär-Operation Artemis an und soll der Ausbildung der kongolesischen Sicherheitskräfte dienen, also eine Polizeimission, die jedoch in den Rahmen der EU-„Verteidigungs- und Sicherheitspolitik“ eingebunden ist. Im Ausschuss wurde das seinerzeit als eng an die Idee der Carabinieri angelehnt beschrieben, also als eine militärische Polizei. Überhaupt gibt es einen Trend, bei Auslandseinsätzen verstärkt auf Polizisten zurückzugreifen. Das hat für die Regierungen unter anderem den Vorteil, daß die Bestimmungen nicht so strikt sind, wie im Falle des Einsatzes von Soldaten.
Zum anderen: Im Kongo geht es klar um EU-Interessenpolitik. Als Rohstofflieferant ist dieses Land einfach attraktiv für die Mitgliedstaaten der EU. Wie so oft werden die Menschenrechte als Argument nur vorgeschoben. Belgische Konzerne sind mit viel Tradition weiter aktiv bei der Rohstoffausbeutung. Die französische Ölfirma Total-Elf hat sich die Rechte vor der schmalen Küste gesichert. Als Kriegsgewinnler beutete die deutsche Firma „Gesellschaft für Elektrometallurgie“ bzw. später ihr früherer Geschäftsführer Karl-Heinz Albers jahrelang Erzbergwerke nach Pyrochlor aus, die Firma H. C. Starck gewann hier Coltan. Heute geht es vor allem um Zinnerz. Wie in den deutschen „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ und dem „European Defense Paper“ beschrieben, deutet alles darauf hin, dass die EU und die EU-Staaten sich hier zur postkolonialen Rohstoffsicherung einschreiben. Dabei arbeiten sie offensichtlich gut mit der Regierung des Kongo zusammen und schützen sie vor Protest.