Non und Nee zeigen erste Wirkung – Linke in Frankreich und den Niederlanden nach EU-Verfassungsreferenden im Aufwind

Andreas Wehr

Die Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden hat die EU nach Meinung der Regierenden in eine tiefe Krise gestürzt. Für die Linke jedoch bietet das Nein die Chance, die Debatte über ein anderes Europa neu zu beleben.

Nach dem »Non« in Frankreich und dem »Nee« in den Niederlanden ist in der Europäischen Union nichts mehr wie es vorher war. Bestand die erste Reaktion der Verfassungsverteidiger noch in Ungläubigkeit und trotzigem Beharren auf einem unbeirrten »weiter so!«, wird ihnen erst jetzt die ganze Bedeutung des Nein klar. Betroffen ist nicht allein das Schicksal des Verfassungsvertrages. Die europäische Krise umfasst inzwischen auch die Finanzplanung der Union und den Fortgang des Erweiterungsprozesses.
Ein Referendum über den Verfassungsvertrag nach dem anderen wurde abgesagt. Den Anfang hatte Großbritannien gemacht, das die für 2006 geplante Volksabstimmung auf Eis legte, es folgten Dänemark, Irland, Portugal, Tschechien und schließlich auch Polen. Nur in Luxemburg wird noch eine Abstimmung stattfinden.
Die europäische Linke hatte hingegen kein Interesse daran, die noch ausstehenden Referenden abzusetzen, denn nur aus der Mobilisierung der breiten Bevölkerungsmassen kann Neues entstehen, kann die so dringend notwendige Kursänderung der europäischen Politik durchgesetzt werden. Die luxemburgische Linkspartei formuliert es so: »Es geht um die Beibehaltung der Dynamik der Infragestellung des neoliberalen Europas.«
Die vom Europäischen Rat verkündete »Zeit der Reflexion«, in der eine »ausführliche Diskussion in den Mitgliedsländern« stattfinden soll, ist Ausdruck der bei den Regierenden herrschenden Rat- und Hilflosigkeit. Wie man diese »Zeit der Reflexion« nicht nutzen sollte, haben die europäischen Sozialdemokraten gezeigt: In einem »Fünf-Punkte-Plan zur Beilegung der EU-Krise« fordern sie ausgerechnet jetzt die Verabschiedung von Dienstleistungs- und Arbeitszeitrichtlinie, also die Annahme jener umstrittenen Vorhaben, wegen der die Mehrheit der Niederländer und Franzosen Nein gesagt hatte.
Realistischer ist da schon die neue konservative französische Regierung unter Dominique de Villepin. Sie kündigte an, beide Direktiven »vermeiden« zu wollen. Und nicht nur das: Mit dem Hinweis auf den Ausgang des Referendums ist auch der Slogan vom »schlanken Staat« in der Versenkung verschwunden, keine Rede ist mehr vom Abbau von 350000 Stellen im öffentlichen Dienst. Angekündigt wurde stattdessen die Schaffung von 100000 »die Rückkehr in die Beschäftigung begleitenden Verträgen«, die staatlich finanziert werden und den öffentlichen Krankenhäusern, Altersheimen und anderen Einrichtungen zugute kommen sollen. Man sieht: Das Non zeigt bereits Wirkung.
Auch für die europäische Linke hat sich die Situation dramatisch verändert. Die Französische Kommunistische Partei, vor kurzem noch totgesagt, konnte auf Grund ihrer führenden Rolle in der Non-Kampagne die zentrale Position innerhalb der Linken zurückerobern, französische Sozialisten und Grünen stehen vor Richtungsentscheidungen, die womöglich ihre jeweiligen Parteien sprengen und zu neuen politischen Konstellationen führen könnten. In den Niederlanden erlebt die kleine Sozialistische Partei einen ungeahnten Aufschwung und wird inzwischen mit einem Stimmenanteil von gut 20 Prozent gehandelt.
Vor allem aber ist die Debatte über ein anderes Europa neu belebt worden. So kamen auf Einladung der Französischen KP kürzlich eine Reihe jener Intellektuellen zusammen, die in der »Initiative der 200« die französische Linke in der Referendumskampagne unterstützt hatten. Vorgeschlagen wurde eine europaweite Kampagne, die sich auf eine »Petition in allen Ländern« stützen kann. Als Ziele dieser Kampagne wurden genannt: die Infragestellung der Rolle der Europäischen Zentralbank und des Stabilitätspakts, die Verteidigung und der Ausbau der öffentlichen Dienstleistungen, das Handeln für eine wirkliche Gleichstellung von Frauen und Männern, die Einhaltung der Rechte der Einwanderer und ein europäisches Handeln zu Gunsten der Nahrungsmittelhoheit als ein Grundrecht der Völker.

Der Artikel erschien im Neuen Deutschland am 8. Juli 2005