Militarisierung als Gebot! ND-Serie zur Verfassung
Wohl in keiner Verfassung eines Staates dürfte eine Verpflichtung zur Aufrüstung stehen. Doch genau dies fordert Art. I-41 Abs.3 des europäischen Verfassungsvertrages: „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Verpflichtungen schrittweise zu verbessern.“ Und um dieses Ziel zu erreichen, soll eine „Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung (Europäische Verteidigungsagentur)“ eingerichtet werden. Diese Behörde hieß im Konventsentwurf noch „Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten“. Aus optischen Gründen strich man dann das Wort „Rüstung“.
Klartext wird hingegen im Abschnitt Sicherheits- und Verteidigungspolitik gesprochen: „Sie sichert der Union eine auf zivile und militärische Mittel gestützte Fähigkeit zu Operationen. Auf diese kann die Union bei Missionen außerhalb der Union zur Friedenssicherung, Konfliktverhütung und Stärkung der internationalen Sicherheit in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen zurückgreifen“ (Art. I-41, Abs. 1). Zivile und militärische Mittel werden demnach als gleichrangige behandelt. Im Unterschied dazu sieht die Charta der Vereinten Nationen einen Katalog stufenförmiger Sanktionsmechanismen vor, wobei die Anwendung militärischer Gewalt als letztes Mittel an präzise Voraussetzungen geknüpft bleibt. Die geforderte „Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Charta der VN“ ist zudem eine sehr unverbindliche Formulierung und führt zu der Frage, warum sich im gesamten Text keine Verpflichtung auf die Charta ohne Einschränkungen findet. Offenkundig will man sich bei „Missionen außerhalb der Union“ nicht an das Vorliegen eines Mandats des UNO-Sicherheitsrats binden lassen. „Missionen“, wie der auch von Truppen von EU-Staaten unternommene völkerrechtswidrige Angriff auf Jugoslawien, sollen danach weiterhin möglich sein.
Ob die EU mit dem Verfassungsvertrag tatsächlich auch ein militärischer Global-Player wird, bleibt aber ungewiss. Eine einheitliche europäische Armee wird es auch in Zukunft nicht geben. Die Mitgliedstaaten bleiben Truppensteller. Vor allem aber: Die Außen- und Sicherheitspolitik der EU bleibt abhängig von einstimmigen Entscheidungen im Europäischen Rat und Rat (Art. I-40 Abs. 6). Sehr zum Ärger der französischen und deutschen Regierung war es im Konvent nicht möglich gewesen, auch hier das Prinzip der qualifizierten Mehrheitsentscheidung durchzusetzen. Das mit dem Verfassungsvertrag neu geschaffene Amt eines EU-Außenministers wird daher ohne wirkliche Macht bleiben. Dieser Außenminister, der sowohl für Außen- als auch Sicherheitspolitik zuständig sein soll, wird nur daher eigenständig nur dann aktiv werden können, wenn sich zuvor die 25 Mitgliedstaaten zumindest auf die Grundlagen geeinigt haben (Art. I-40 Abs.6 und Art. III- 300). Und wie schwer dies ist, hat erst kürzlich die europäische Uneinigkeit über die Haltung zum Irakkrieg der USA gezeigt.
Der Verfassungsvertrag weist jedoch einen Ausweg aus diesem Dilemma. In Artikel I-41 Abs. 6 heißt es: „Mitgliedstaaten, die anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen (…), begründen eine ständige Strukturierte Zusammenarbeit im Rahmen der Union.“ Dieses Kerneuropa der Fähigen und Willigen soll dann nicht mehr Rücksicht auf die neutralen bzw. militärischen Abenteuern abgeneigten Staaten innerhalb der EU nehmen müssen.
Der Verfassungsvertrag entwickelt die bereits in den neunziger Jahren begonnene Militarisierung weiter und hebt sie in Verfassungsrang. Nur in der Frage einer demokratischen Kontrolle dieser Politik bleibt alles beim Alten. Nach Artikel I-42 Abs. 8 wird das Europäische Parlament „zu den wichtigsten Aspekten und den grundlegenden Weichenstellungen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik regelmäßig gehört. Es wird über ihre Entwicklung auf dem Laufenden gehalten.“ Mit anderen Worten: Das Parlament wird auch in Zukunft hier nichts zu sagen haben.
Quelle: Neues Deutschland vom 11. März 2005