Dienstleistungsrichtlinie: Angriff von Konservativen und Liberalen

Zur Situation im mitberatenden Wirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments, der voraussichtlich am 5. September über die Dienstleistungsrichtlinie abstimmen wird, erklärt Sahra Wagenknecht, PDS-Europaabgeordnete und Berichterstatterin für die Richtlinie im Wirtschaftsausschuss:

Konservative und Liberale setzen hinsichtlich der Dienstleistungsrichtlinie im Wirtschaftsausschuss auf offene Konfrontation. Beim Treffen der Schattenberichterstatter, also der für die Dienstleistungsrichtlinie zuständigen Vertreter der einzelnen Fraktionen, zum Aushandeln von Kompromissformulierungen wurden meine Kompromissvorschläge, die von PSE und Grünen in weiten Teilen mitgetragen worden wären, von ihnen fast vollständig zurückgewiesen. Dies betraf auch Kompromisse, die auf Anträgen der Konservativen selbst beruhten, so hinsichtlich der auch von ihnen erhobenen Forderung nach einer zumindest partiellen Ausklammerung von Diensten der Daseinsvorsorge. In der Sitzung kündigten die Konservativen an, sie würden diese Anträge zurückziehen.

Seitens der Vertreterin der Konservativen, der finnischen Abgeordneten Kauppi, wurde mir unverblümt mitgeteilt, dass Konservative und Liberale beschlossen hätten, sich auf keinerlei übergreifende Kompromissverhandlungen einzulassen. Man habe sich bereits untereinander auf eine Linie verständigt, die man dann in der Abstimmung durchsetzen wolle. Ziel dieser Nicht-Verhandlungs-Strategie sei nach den Worten Piia-Noora Kauppis, mit der marktliberalen Mehrheit im Wirtschaftsausschuss ein Abstimmungsergebnis zu erreichen, das ein Gegengewicht zu den in anderen mitberatenden Ausschüssen erzielten differenzierteren Kompromissen darstellt. So solle der Druck auf den federführenden Binnenmarktausschuss, der eine Woche später abstimmt, erhöht werden.

Ich halte diese Entwicklung für außerordentlich alarmierend. Bislang gehört die von Frau Kauppi vertretene Position, jede Änderung am Kommissionsvorschlag sei de facto eine Verschlechterung, auch nicht bei der konservativen und liberalen Fraktion zum allgemeinen Konsens, wie die Beratungen in den anderen Ausschüssen des Parlaments zeigen. Dass Konservative und Liberale im Wirtschaftsausschuss nun auf einen klaren Konfrontationskurs setzen lässt befürchten, dass sich nachdem der Druck der Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden vorbei ist, alle Hemmschwellen gefallen sind, den neoliberalen Kurs der Bolkesteinrichtlinie auch gegen breiten Widerstand durchsetzen wollen. So haben in der Bundesrepublik verschiedentlich auch Vertreter der CDU und CSU öffentlich Kritik am Herkunftslandprinzip geäußert, im Europäischen Parlament jedoch wird, zumindest seitens der in meinem Ausschuss vertretenen Unions-Abgeordneten, die Hardliner-Position Frau Kauppis unterstützt.

Angesichts sich verhärtender Fronten auf parlamentarischer Ebene ist es dringend nötig, dass der öffentliche Druck zunimmt. Nur so wird sich verhindern lassen, dass die Dienstleistungsrichtlinie mit ihren absehbar verheerenden Auswirkungen, u.a. auf die Dienste der öffentlichen Daseinsvorsorge, das Handwerk und kleine Unternehmen, Wirklichkeit wird.

Sahra Wagenknecht, MdEP
Brüssel, den 15. Juli 2005