Die Nadel im Heuhaufen
Zur heutigen Sondersitzung der EU-Innenminister in Brüssel erklärt die PDS-Europaabgeordnete Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments:
Wenn die Innenminister der Union vor dem Hintergrund der Anschläge in London darauf drängen, die von Großbritannien und einer Reihe weiterer Mitgliedstaaten bereits seit Monaten geforderte umfassende Speicherung von Telefon- und Internetdaten nun kurzfristig durchzusetzen, wird dies nicht zu einer wirksamen Bekämpfung des Terrorismus führen. Im Gegenteil: Die berüchtigte Nadel wird sich in einem noch größeren Heuhaufen verbergen. Und noch schlimmer: Der Heuhaufen selbst mit seinen unvorstellbar umfänglichen Datenmengen ist so entzündbar, dass er letztlich Terroristen mehr hilft, als sie zu bekämpfen.
Alexander Nuno Alvaro, Berichterstatter des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments, verwies in dieser Frage bereits im vergangenen Jahr auf folgende Relationen: „Sofern sämtliche von dem Vorschlag umfasste Verkehrsdaten tatsächlich gespeichert werden müssten, würde im Netz eines großen Internet-Providers bereits bei heutigem Verkehrsaufkommen eine Datenmenge von 20 – 40.000 Terabyte anfallen. Dies ist ein Datenvolumen, das ungefähr 4 Mio. km gefüllter Aktenordner entspricht – dies entspricht wiederum zehn Aktenbergen, die jeweils von der Erde bis zum Mond reichen würden. Bei dieser gewaltigen Datenmenge würde ein einmaliger Suchlauf bei einem Einsatz der vorhandenen Technik ohne zusätzliche Investitionen 50-100 Jahre dauern. Die rasche Verfügbarkeit der angeforderten Daten ist somit zu bezweifeln.“
Der vergangene Donnerstag in London hat auf tragische Weise in Erinnerung gerufen, dass es vor Terroristen, die bereit sind, ihr Leben wegzuwerfen, bis heute keinen wirklichen Schutz gibt. Die Anhäufung zusätzlicher Datenmüllhalden bringt uns auch keinen Schritt weiter.
Selbstverständlich sind die Regierungen gefordert, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Deshalb müssen die EU-Innenminister dringend europaweit enger zusammenwirken und die bereits nach dem 11. September 2001 beschlossenen Maßnahmen tatsächlich umsetzen. Wirklich erfolgreich wird die Europäische Union allerdings erst dann sein, wenn sie sich endlich auch den vielfältigen Ursachen stellt, die den Nährboden für immer neue Gewaltakte bieten.