EuGH-Urteil droht Finanznot der öffentlichen Haushalte zu verschärfen

Zum Urteil des EuGH im Fall Marks&Spencer, nach dem Verluste von im Ausland tätigen Dependancen eines Unternehmens unter bestimmten Bedingungen von der Steuer abgeschrieben werden können, erklärt Sahra Wagenknecht, Europaabgeordnete der Linkspartei.PDS und Mitglied des Wirtschafts- und Währungsausschusses im Europäischen Parlament:

Trotz der öffentlich vermittelten Erleichterung von Finanzminister Peer Steinbrück ist die Entscheidung des EuGH keine gute Nachricht. Den öffentlichen Haushalten drohen nach dem Urteil durchaus erhebliche negative Auswirkungen. Auch die leichten Einschränkungen, die das Urteil vorsieht, werden nicht verhindern, dass ein Großteil des finanziellen Risikos eines Unternehmens auf die öffentlichen Kassen abgewälzt wird. Der Anreiz bleibt bestehen, Tochterunternehmen in Niedrigsteuerländern zu gründen, um entweder Profite in den Büchern dorthin zu verschieben oder aber Verluste dazu zu nutzen, hohe Gewinne kleinzurechnen. Solange ausländische Verluste abschreibbar sind, ist das weitere Ausbluten öffentlicher Haushalte vorprogrammiert.

Nutznießer der Entscheidung des Gerichtshofs sind die multinational tätigen Konzerne. Dies wird dadurch bestätigt, dass die Unternehmerverbände einhellig erklären, sie könnten mit dem Urteil gut leben – eine eindeutige Aussage, dass ihnen das Urteil alle gewünschten Möglichkeiten eröffnet. Ihr unternehmerisches Risiko einer Unternehmensverlagerung innerhalb der EU ist nach dem EuGH-Urteil nicht gestiegen, sondern tendiert auch in den vom Gerichtshof gezogenen Grenzen weiter gegen Null.

Das Urteil des EuGH zeigt auf, wie notwendig es ist, endlich eine Anpassung und Koordinierung der Unternehmensbesteuerung in der EU zu erreichen. Die Zeit der unsäglichen Steuergeschenke an die Unternehmen, wie von der deutschen Bundesregierung in den letzten Jahren betrieben, und das offenbar unerschütterliche Vertrauen der EU-Regierungen auf selbstregulierende Marktkräfte muss ein Ende haben. Ein EU-weiter Mindestsatz von 40 Prozent bei der Körperschaftssteuer auf breiter Bemessungsgrundlage ist überfällig. Nur so kann wirksam verhindert werden, dass die multinational tätigen Konzerne, die die Profiteure der Gerichtsentscheidung sind, ihre Gewinne zu Lasten der öffentlichen Haushalte weiter steigern.

Sahra Wagenknecht
Strasbourg, den 14.12.2005