Das französische Nein ist ein Pyrrhussieg für die Linken

Zum Nein Frankreichs beim Referendum über den Europäischen Verfassungsvertrag erklärt die PDS-Europaabgeordnete und ehemaliges Mitglied des Verfassungskonvents Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments:

Eine deutliche Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Frankreichs hat die Europäische Verfassung abgelehnt. Diese Entscheidung ist zweifellos ein schwerer Rückschlag für die europäische Integration. Die Hauptverantwortung für das Nein trägt die herrschende politische Klasse. Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und wachsende Zukunftsängste bestimmen das gesellschaftliche Leben in Frankreich wie in anderen EU-Staaten. Zugleich floriert das Kapital und europäische Multis verbuchen Superprofite – nicht zuletzt aufgrund Binnenmarkt, Währungsunion und EU-Erweiterung. Mit Recht empfinden viele Menschen in Frankreich, dass sie der Staat vor Globalisierung und Entgrenzung nicht schützt und dass auch im vereinten Europa Solidarität und Gerechtigkeit auf der Strecke bleiben. Die Erweiterung nehmen sie als Bedrohung war. Von dieser Realität und der Arroganz ihrer Macht wurden die politischen Eliten jetzt eingeholt. Man nahm ihnen einfach nicht mehr ab, dass mit der EU-Verfassung ein sozialeres Europa möglich ist und die Union in die Lage versetzt werden kann, die Herausforderungen einer globalisierten Welt im Interesse der Menschen besser zu bewältigen.

Gesellschaftlichen Fortschritt in Europa hatten sich die Linken auf die Fahnen ihres Nein geschrieben. Doch als Konsequenz des Nein droht nun gesellschaftlicher Rückschritt. Die Linken bekommen genau das, was sie eigentlich nicht wollen, denn der wirtschaftsliberale Teil III der Verfassung, den sie vehement bekämpften, bleibt uneingeschränkt in Gestalt der geltenden EU-Verträge in Kraft. Auch weiterhin dominieren die Gesetze des Markts, und es ist nicht mehr auszuschließen, dass die EU zur bloßen Freihandelszone verkommt. Die politische Union rückt in weite Ferne. Darüber hinaus wurde erreicht, dass die zahlreichen Fortschritte der Verfassung – wie die Fixierung der Union auf soziale Marktwirtschaft, Vollbeschäftigung und Frieden sowie eine demokratischere EU – ebenso auf dem Scheiterhaufen des Nein geopfert werden wie die Grundrechtecharta. Das Nein kann sogar den in Beton gegossenen Neoliberalismus und Marktradikalismus à la Maastricht und Nizza auf Jahre verhärten, denn ein anderes, ein „sozialistisches Europa“ ist nicht in Sicht – ganz abgesehen davon, dass die Linken weder einen diskutierbaren Gegenentwurf noch realistische Wege zu seiner Ratifizierung aufgezeigt haben. Dieses Nein ist deshalb ein Pyrrhussieg für die Linken, an dem sich Neoliberale, Europagegner, Nationalisten und Neokonservative in den USA die Hände wärmen werden. Besonders all jene Linken in Frankreich und anderen EU-Staaten, die aus ihrem Streben nach einem Scheitern der europäischen Integration nie einen Hehl machten, haben sich eine schwere Bürde für die Zukunft auferlegt. Kein Ziel linker Politik wird ohne die Verfassung leichter zu erreichen sein.

Berlin/Brüssel, 30. Mai 2005

Zum Nein Frankreichs beim Referendum über den Europäischen Verfassungsvertrag erklärt die PDS-Europaabgeordnete und ehemaliges Mitglied des Verfassungskonvents Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments:

Eine deutliche Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Frankreichs hat die Europäische Verfassung abgelehnt. Diese Entscheidung ist zweifellos ein schwerer Rückschlag für die europäische Integration. Die Hauptverantwortung für das Nein trägt die herrschende politische Klasse. Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und wachsende Zukunftsängste bestimmen das gesellschaftliche Leben in Frankreich wie in anderen EU-Staaten. Zugleich floriert das Kapital und europäische Multis verbuchen Superprofite – nicht zuletzt aufgrund Binnenmarkt, Währungsunion und EU-Erweiterung. Mit Recht empfinden viele Menschen in Frankreich, dass sie der Staat vor Globalisierung und Entgrenzung nicht schützt und dass auch im vereinten Europa Solidarität und Gerechtigkeit auf der Strecke bleiben. Die Erweiterung nehmen sie als Bedrohung war. Von dieser Realität und der Arroganz ihrer Macht wurden die politischen Eliten jetzt eingeholt. Man nahm ihnen einfach nicht mehr ab, dass mit der EU-Verfassung ein sozialeres Europa möglich ist und die Union in die Lage versetzt werden kann, die Herausforderungen einer globalisierten Welt im Interesse der Menschen besser zu bewältigen.

Gesellschaftlichen Fortschritt in Europa hatten sich die Linken auf die Fahnen ihres Nein geschrieben. Doch als Konsequenz des Nein droht nun gesellschaftlicher Rückschritt. Die Linken bekommen genau das, was sie eigentlich nicht wollen, denn der wirtschaftsliberale Teil III der Verfassung, den sie vehement bekämpften, bleibt uneingeschränkt in Gestalt der geltenden EU-Verträge in Kraft. Auch weiterhin dominieren die Gesetze des Markts, und es ist nicht mehr auszuschließen, dass die EU zur bloßen Freihandelszone verkommt. Die politische Union rückt in weite Ferne. Darüber hinaus wurde erreicht, dass die zahlreichen Fortschritte der Verfassung – wie die Fixierung der Union auf soziale Marktwirtschaft, Vollbeschäftigung und Frieden sowie eine demokratischere EU – ebenso auf dem Scheiterhaufen des Nein geopfert werden wie die Grundrechtecharta. Das Nein kann sogar den in Beton gegossenen Neoliberalismus und Marktradikalismus à la Maastricht und Nizza auf Jahre verhärten, denn ein anderes, ein „sozialistisches Europa“ ist nicht in Sicht – ganz abgesehen davon, dass die Linken weder einen diskutierbaren Gegenentwurf noch realistische Wege zu seiner Ratifizierung aufgezeigt haben. Dieses Nein ist deshalb ein Pyrrhussieg für die Linken, an dem sich Neoliberale, Europagegner, Nationalisten und Neokonservative in den USA die Hände wärmen werden. Besonders all jene Linken in Frankreich und anderen EU-Staaten, die aus ihrem Streben nach einem Scheitern der europäischen Integration nie einen Hehl machten, haben sich eine schwere Bürde für die Zukunft auferlegt. Kein Ziel linker Politik wird ohne die Verfassung leichter zu erreichen sein.

Berlin/Brüssel, 30. Mai 2005