Kuba muss verteidigt werden
Nach ihrem Informationsbesuch in Kuba erklärt Sahra Wagenknecht, Europaabgeordnete der Linkspartei.PDS und Mitglied des Wirtschafts- und Währungsausschusses sowie der Anden-Delegation des Europäischen Parlaments:
Nach allem, was ich bei meinem Besuch in Kuba gesehen und erfahren habe, steht für mich fest: Kubas Recht auf einen eigenen Entwicklungsweg muss verteidigt werden!
In den Tagen meines Aufenthalts habe ich eine Vielzahl von Gesprächen, sowohl mit Entscheidungsträgern als auch mit einfachen Kubanerinnen und Kubanern geführt. Mich hat beeindruckt, mit welcher Eindeutigkeit bei allen Diskussionen feststand, dass die zweifelsohne existierenden vielfältigen Probleme Kubas gelöst werden müssen, ohne die bis heute für alle Kubanerinnen und Kubaner existierenden Errungenschaften – eine allgemeine Grundsicherung mit Lebensmitteln sowie ein umfassendes kostenloses Gesundheits- und Bildungssystem – anzutasten.
Welch eindrucksvolle Erfolge Kuba auf dem Gebiet der Gesundheitsversorgung vorzuweisen hat und welch wichtige Rolle es für andere Länder der so genannten Dritten Welt spielt, belegen u.a. die Kooperationsprojekte mit Lateinamerika. Ein Schwerpunkt meines Besuchs in Kuba bestand deshalb darin, näheren Einblick in das kubanische Gesundheitswesen zu erhalten und mich über die kürzlich angelaufene so genannte „Operación Milagro“ zu informieren. Unter diesem Namen steht ein ehrgeiziges von Kuba und Venezuela initiiertes Projekt zur Behandlung von Menschen mit Augenkrankheiten in den Ländern Lateinamerikas und der Karibik: Im Lauf der nächsten 10 Jahre soll 6 Mio. Menschen, die von Grünem Star und anderen Augenkrankheiten betroffen sind, durch Operationen das Augenlicht gerettet werden. Kubanische Ärzte sollen dabei zum einen die Operationen in den vorhandenen und auszubauenden Kliniken in Kuba vornehmen, zum anderen langfristig für die Ausbildung entsprechender Ärzte in anderen Ländern sorgen. In Kuba habe ich sowohl in Havanna als auch in der Provinzstadt Matanzas Kliniken besucht, die an diesem Projekt beteiligt sind, mit Ärzten sowie venezolanischen und kubanischen Patienten gesprochen und eine Operation am Bildschirm live miterlebt. Sehr beeindruckend war für mich auch der Besuch in der Lateinamerikanischen Schule für Medizin (ELAM) in der Nähe von Havanna, wo Studenten aus mehr als 20 Ländern der so genannten Dritten Welt gemeinsam Medizin studieren. Bei einem Gespräch mit dem venezolanischen Botschafter, Adán Chávez, wurde deutlich, wie wichtig die Kooperation mit Kuba für ein Land wie Venezuela ist, in dem die Gesundheitsversorgung bis zum Regierungsantritt von Hugo Chávez ein Privileg der Reichen war.
Die Erfolge Kubas im Bildungs- und Gesundheitssektor wurden ebenfalls bei meinem Besuch im biotechnologischen Institut in Havanna deutlich, wo ich mich bei einem Gespräch mit Wissenschaftlern über die dortige Forschung, u.a. an Impfstoffen informieren konnte, die hohe internationale Anerkennung genießt. Deutlich wurde jedoch auch, welch gravierende negative Auswirkungen das seit mehr als 40 Jahren existierende US-Embargo auf die Forschungsbedingungen und insbesondere auch auf die Absatzmöglichkeiten der kubanischen Produkte hat.
Auf politischer Ebene hatte ich während meines Aufenthalts die Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem stellvertretenden kubanischen Außenminister, Eumelio Caballero Rodríguez, bei dem es u.a. um die EU-Position zu Kuba sowie die aktuelle Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland ging. Weitere Gespräche konnte ich im Wirtschaftsministerium sowie mit Vertretern der Kommunistischen Partei, der Nationalversammlung und der Kommunistischen Jugend führen. Treffen gab es auch mit Basisorganisationen wie der Kubanischen Frauenföderation. Bei den Gesprächen wurde kritisch und auch durchaus kontrovers diskutiert. In allen Gesprächen wurde deutlich, mit welch großen Anstrengungen versucht wird, die unübersehbaren Probleme zu bewältigen, unter denen Kuba leidet und die offen thematisiert wurden – z.B. die ineffizient arbeitende Landwirtschaft, die damit und mit der Parallelexistenz zweier Währungen verbundene problematische Ernährungs- und prekäre Einkommenssituation großer Teile der Bevölkerung, fehlender Wohnraum und mangelhafter öffentlicher Verkehr, die gravierenden mit dem Ausbau des Tourismussektors einhergehenden Probleme usw. – und dies unter den erschwerten Bedingungen von US-Embargo und internationaler Isolation. Große Hoffnungen werden hier auf den verstärkten Ausbau der lateinamerikanischen Kooperation im Rahmen des so genannten ALBA-Modells als Alternative zum US-dominierten Freihandelskonzept ALCA gesetzt.
Als Fazit meiner Reise steht für mich fest: Die Kubanerinnen und Kubaner haben ein Recht auf einen eigenen Entwicklungsweg. Die Erfolge Kubas, gerade in den Bereichen Gesundheit und Bildung, sind unübersehbar und beispiellos in der so genannten Dritten Welt. Die EU sollte alles tun, um Kuba Hilfestellung zu leisten, seinen Weg weiter gehen zu können. Anstatt darauf zu hoffen und darauf hinzuarbeiten, dass Kubas Gesellschaftssystem sich in der Zukunft ändert – mit unabsehbaren Folgen für die geopolitische Lage, ganz zu schweigen von der Situation der Kubanerinnen und Kubaner -, sollte die EU ihre Beziehungen mit Kuba verbessern und einen konstruktiven Beitrag zur Bewältigung der derzeitigen Probleme leisten. Es gilt, Kuba nicht mit ideologischen Scheuklappen zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der lateinamerikanischen Realitäten sowie seines unersetzlichen Beitrags für die Menschen in Ländern des Südens zu sehen. Was Kuba erreicht und geleistet hat, darf nicht aufs Spiel gesetzt werden!
Brüssel/Berlin, den 28. Oktober 2005
Sahra Wagenknecht