Die Türkei darf nicht wie eine Bananenrepublik behandelt werden

Zur geplanten Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei am 3. Oktober

Bekanntlich besteht die konservative Regierung Österreichs darauf, dass im Rahmenprotokoll für die Verhandlungen der EU mit der Türkei zusätzlich auch eine „privilegierte Partnerschaft“ als Alternative zur EU-Vollmitgliedschaft aufgenommen werden müsse. Im Kern läuft diese ultimativ gestellte Forderung darauf hinaus, der Türkei den 1999 zuerkannten Status eines (normalen) EU-Kandidaten wieder zu entziehen, obwohl der Europäische Rat im Dezember 2004 befand, die Türkei habe die Aufnahmekriterien von Kopenhagen in soweit erfüllt, um am 3. Oktober 2005 Verhandlungen aufzunehmen. Noch im Juni hatte die EU-Kommission der Türkei die Erfüllung der Bedingungen zur Aufnahme von Verhandlungen attestiert.

Das Verhalten der konservativen Regierung Schüssel in Österreich, das sich nahtlos an die im Bundestagswahlkampf zum EU-Beitritt der Türkei eingenommenen Positionen von CDU/CSU anschließt, ist skandalös. Die Türkei ist keine Bananenrepublik, der man gestern mit klaren Auflagen etwas verspricht, um dann heute zu erklären: April, April! Es kann und darf nicht sein, dass das politisch außerordentlich brisante Thema eines EU-Beitritts der Türkei willkürlich für andere, vor allem innenpolitische Zwecke in EU-Mitgliedstaaten instrumentalisiert wird. Die Menschen in der Türkei erwarten mit Recht, dass der Dialog der EU mit ihrem Land ernsthaft und aufrichtig geführt wird.

Tatsache ist, dass ein EU-Beitritt der Türkei überhaupt erst in 10 bis 15 Jahren möglich wäre. Derzeit ist weder die Türkei beitrittsfähig, noch ist die EU politisch, institutionell und wirtschaftlich in der Lage, die Türkei aufzunehmen. In der Türkei müssen erst die Menschenrechte umfassend garantiert, die Rechte der Kurdinnen und Kurden geachtet und viele ökonomische und soziale Reformen durchgeführt werden. Im Endergebnis wäre dies ein Gewinn für die Menschen in der Türkei und für Europa. Hinzu kommt, dass in den EU-Mitgliedstaaten ein Klima geschaffen werden muss, damit die Bürgerinnen und Bürger einem EU-Beitritt der Türkei positiv gegenüberstehen.

Das alles sind gute Gründe, um mit den Beitrittsverhandlungen zu beginnen. Entsprechend EU-Beschlusslage sollen sie ergebnisoffen geführt werden. Das beinhaltet, dass es für einen EU-Beitritt der Türkei keinen Automatismus gibt.

Brüssel, den 3. Oktober 2005