Keinen Verfassungsvertrag über die Köpfe der Bürgerinnen und Bürger Europas hinweg!

Zum Ausgang des Referendums in Spanien über den Verfassungsvertrag erklärt der Sprecher der Europaabgeordneten der PDS, Helmuth Markov:

Der Ausgang des ersten Referendums über den Verfassungsvertrag in einem EU-Mitgliedsland kann keineswegs als eine eindrucksvolle Zustimmung für den Verfassungsvertrag oder als ein „starkes Signal“ gewertet werden, wie es der Kommissionspräsident Barroso jetzt tat. Dagegen spricht schon allein die Tatsache, das überhaupt nur knapp über 42 Prozent der Spanierinnen und Spanier an der Abstimmung teilnahmen Damit lag die Beteilung sogar noch um vier Prozent unter der an den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2004.

Die geringe Beteilung war besonders enttäuschend, da alle politischen Parteien, die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände für die Stimmabgabe geworben hatten. Offenbar hat es nichts genutzt. Die politisch Verantwortlichen, vor allem auf der europäischen Ebene, müssen sich vielmehr selbstkritisch fragen, ob sie den konkreten Inhalt des Verfassungsvertrages so vermittelt haben, dass die verschiedenen Alternativen für die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Spanien überhaupt erkennbar werden konnten. Vor dem Hintergrund, dass überhaupt nur zehn Prozent der Spanierinnen und Spanier angaben, den Inhalt des Verfassungsvertrages wenigstens ungefähr zu kennen, muss dies bezweifelt werden.

Gelingt aber die Aufklärung und die Politisierung der Bevölkerung offenbar selbst in den Ländern nicht, in denen mittels eines Referendums über den Verfassungsvertrag entschieden wird, so wird dies aber dort, wo erst gar keine Volksabstimmung zugelassen wird, erst gar nicht versucht. Dies trifft vor allem auf die Bundesrepublik Deutschland zu. Da sich aus parteitaktischen Erwägungen sowohl SPD/Grüne als auch CDU/CSU nicht auf eine Grundgesetzänderung verständigen konnten, werden hier die Bürgerinnen und Bürger, im Gegensatz zur Situation in zehn anderen EU-Mitgliedstaaten nicht gefragt. In Deutschland hat es die Bundesregierung noch nicht einmal mehr für nötig befunden, den Entwurf des Verfassungsvertrages der Bevölkerung in ausreichender Auflage kostenlos zur Verfügung zu stellen.

Das europäische Projekt wird aber in eine gefährliche Krise kommen, wenn an dieser Politik der Entscheidung über die Köpfe hinweg festgehalten wird. Immer weiter sinkende Beteiligungen an den Wahlen zum Europäischen Parlament und Desinteresse an Referenden über europäische Fragen deuten auf eine wachsende Entfremdung zwischen kleinen europäischen Eliten und den Bevölkerungen der Mitgliedstaaten hin. „Abstimmungserfolge“ wie jetzt in Spanien könnten sich dann schnell als Pyrrhussiege erweisen.