Auszeit allein reicht nicht. Ein Politikwechsel in der EU tut Not!

Erklärung zur Entscheidung der EU-Staats- und Regierungschefs, aufgrund des französischen und niederländischen Nein zur Europäischen Verfassung den Ratifizierungsprozess zu verlängern.

Beim geltenden Vertrag von Nizza kann und darf es nicht bleiben. Er bietet den bald mehr als 450 Millionen Menschen in der erweiterten EU keine sichere und zukunftsfähige Alternative. Von daher ist es vernünftig, am Verfassungsprozess festzuhalten. Auch aus demokratischen Erwägungen ist das geboten. Das inzwischen von zehn Mitgliedstaaten abgegebene demokratische Ja zur Verfassung kann ebenso wenig ignoriert werden wie das demokratische Nein in Frankreich und in den Niederlanden.

Die von diesem Gipfel verordnete Auszeit für den Ratifizierungsprozess macht jedoch nur dann Sinn, wenn bis zu dem ins Auge gefassten Sondertreffen der EU-Staats- und Regierungschefs im Juni nächsten Jahres unmissverständliche Signale für einen eindeutigen Politikwechsel in der EU ausgehen. Die Menschen können für das Projekt Europa nur dann zurückgewonnen werden, wenn die EU zu einer gemeinsamen Kraft entwickelt wird, die zur sozialen Bändigung der Globalisierung willens und fähig ist. Sie muss Hoffnungen machen und darf keine Ängste verbreiten. Zu ersten konkreten Schritten gehören daher die endgültige Beerdigung der Bolkestein-Richtlinie und die Stärkung der öffentlichen Daseinsfürsorge. Notwendig sind europaweite Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen durch geeignete Investitionsprogramme sowie energische Initiativen für eine gemeinsame Steuerpolitik, um Betriebsverlagerungen einzudämmen. Darüber hinaus müssen Forschung, Entwicklung und Bildung die Grundlage wirtschaftlicher Stärke der EU bilden.

Viele Anzeichen deuten allerdings darauf hin, dass das französische und das niederländische Nein für einen neoliberalen Durchmarsch und einen politischen Rückbau der EU missbraucht werden sollen. Die Richtung dafür wies Angela Merkel als Kanzlerin in spe, indem sie in ihrer gestrigen Rede im Bundestag allein Wachstum und Wirtschaft zum Maßstab gemeinschaftlichen Handelns erhob. In diesem Wirtschaftseuropa à la Merkel ist massive Deregulierung angesagt. In der Tat benötigt das Big Business auch keine demokratisch verfasste EU, die seiner Profitgier eher hinderlich ist. Es braucht nur den selbstgesteuerten Binnenmarkt, weshalb es mit dem Nizza-Vertrag gut leben kann. Dies erfordert entschlossenen Widerstand. Die zahlreichen Fortschritte der Verfassung müssen verteidigt werden.