Tony Blair will europäisches Sozialmodell beerdigen
Zum bevorstehenden EU-Sondergipfel in Hampton Court bei London erklärt Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Europaabgeordnete der Linkspartei.PDS und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments:
Mehr denn je drohen in der Europäischen Union der neoliberale Durchmarsch und gleichzeitig ihr politischer Rückbau. Die Vorreiterrolle übernahm dabei die britische Regierung unter Tony Blair, die turnusgemäß noch bis Ende 2005 die EU-Ratspräsidentschaft wahrnimmt. Sie will das so genannte europäische Sozialmodell endgültig beerdigen. Der EU-Sondergipfel soll dafür die Weichen stellen.
Worum es im Einzelnen geht, verdeutlicht ein umfangreiches Pamphlet unter der verführerischen Parole „Globales Europa. Vollbeschäftigung Europa“, das der britische Schatzkanzler Gordon Brown vor wenigen Tagen veröffentlichen ließ. Darin behauptet er, dass das europäische Wirtschafts- und Sozialmodell gescheitert sei, weil es der Globalisierung nicht widerstehe. Geringes Wirtschaftswachstum und hohe Arbeitslosigkeit seien die Folge. Vor diesem Hintergrund dürfe nicht mehr nur über Wirtschaftsreformen debattiert, jetzt müsse vielmehr gehandelt werden.
Im Klartext geht es um die Umwandlung der EU in eine Freihandelszone de Luxe. Grünes Licht sollen Deregulierung, Marktradikalismus und Wettbewerb erhalten. Mit dieser Maßgabe fordert Brown die zügige Vollendung eines selbstgesteuerten Binnenmarkts. Dazu gehörten die rigide Deregulierung des EU-Arbeitsmarkts und die vollständige Öffnung aller Schlüsselbereiche der öffentlichen Versorgung. Umgehend geöffnet werden müssten der gesamte Dienstleistungsbereich sowie alle anderen Märkte, die noch geschlossen seien. Staatliche Subventionen gehörten durchweg gestrichen; ebenso alle Restriktionen für europäische Unternehmen, die angeblich Wirtschaftswachstum behinderten. Entwickelt werden müsse eine unabhängige Wettbewerbspolitik. Erforderlich sei eine offene, flexible und wettbewerbsfähige Steuerpolitik, die jede Art einer Harmonisierung von Steuern ausschließe.
Europa soll ein marktliberaler Wirtschaftsstandort ohne soziale Haftung werden. Es winken Manchester-Kapitalismus sowie eine protektionistische Restdemokratie – und dafür genügt der geltende EU-Vertrag von Nizza. Von daher ist es auch nicht verwunderlich, dass der wirtschaftsliberale britische Schatzkanzler Brown in seinem Pamphlet der EU-Verfassung keine einzige Träne nachweint.