Vor EU-Verfassungsreferendum: Kosmetik bei Stabilitätspakt und Dienstleistungsrichtlinie

Zu den beim Treffen der Europäischen Regierungschefs in Brüssel erzielten Ergebnissen bezüglich Stabilitätspakt und Dienstleistungsrichtlinie erklärt Sahra Wagenknecht, PDS-Europaabgeordnete und Mitglied des Wirtschaftsausschusses im Europäischen Parlament:

Die groß angekündigten Ergebnisse des Gipfeltreffens zu Stabilitätspakt und Dienstleistungsrichtlinie sind weitgehend Schaumschlägerei. Ihr Neuigkeitswert ist letzlich gering.

Das Trauerspiel um den Stabilitätspakt wird weiter fortgesetzt. Erwartungsgemäß wurde dem deutschen Druck entsprochen und Bundeskanzler Schröders Wunschkatalog für eine Stabilitätspaktsreform umgesetzt – die unverhohlene Drohung mit dem Nettozahlerbeitrag Deutschlands hat seine Wirkung nicht verfehlt. Deutschland hat nun auch in Zukunft keinerlei Defizitverfahren mehr zu befürchten. Schließlich werden die Kosten der Einheit Deutschlands auch noch in einigen Jahren angeführt werden können.

Der Aufschrei, der durch die Wirtschaft geht, ist absurd. Schließlich wurde vor allem der bisherige Status Quo bestätigt. Der Stabilitätspakt bleibt ein zentraler Hebel für Sozialabbau. Vertan wurde die Chance, einen neuen sozialen Pakt zu entwickeln, der nicht einseitig auf Preisstabilität orientiert, sondern eine dringend benötigte Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik möglich macht.

Unerträglich ist das Agieren der Regierungschefs bezüglich der Dienstleistungsrichtlinie. Ganz auf Linie der Kommission wird auf Biegen und Brechen versucht, den Eindruck zu erwecken, dass eine grundlegende Überarbeitung der Richtlinie bevorstehe. Getan wird jedoch – nichts Konkretes. Es ist mehr als durchsichtig, dass es den Regierungschefs nicht um substanzielle Änderungen geht, sondern ausschließlich darum, den wachsenden Widerstand gegen das neoliberale Brachialprojekt der Dienstleistungsrichtlinie mit unverbindlichen Absichtserklärungen in Schach zu halten, um ja nicht das Verfassungsreferendum in Frankreich am 29. Mai zu gefährden.

Der Brüsseler Gipfel hat einmal mehr die Chance nicht genutzt, dem Projekt EU einen anderen Charakter zu verleihen. Anstelle eines Festhaltens an Stabilitätspakt und Dienstleistungsrichtlinie, die für die neoliberale Ausrichtung der EU unter Inkaufnahme gravierender negativer sozialer Auswirkungen stehen, bedürfte es einer anderen, einer sozial ausgerichteten Politik. Einer Politik, die nicht Unternehmenssteuern immer weiter absenkt, sondern die die Binnennachfrage über öffentliche Investitionen und eine Umverteilung von Einkommen von Oben nach Unten ankurbelt. Notwendig ist ein Beschäftigungs- und Wachstumsprogramm, in dessen Mittelpunkt die in der EU lebenden Menschen stehen und nicht die Interessen der Konzerne und Unternehmen.

Sahra Wagenknecht, MdEP
Brüssel/Berlin, den 23. März 2005