Das Schicksal von Orhan Pamuk ist ein Beispiel für die Engstirnigkeit der türkischen Justiz

Der Prozess gegen den türkischen Schriftsteller und diesjährigen Preisträger des deutschen Buchandels Orhan Pamuk droht zu einer Farce zu werden.
Zusammen mit meiner Delegation wurde ich heute Zeugin eines Zusammenprallens zweier Welten: Auf dem Weg in den Gerichtssaal wurde der wegen „Herabwürdigung des Türkentums“ angeklagte Orhan Pamuk von Demonstranten als „Vaterlandsverräter“ beschimpft. Eine von ihnen ereiferte sich derart, dass sie dem Schriftsteller mit einer Mappe auf den Kopf schlug. Auch wir Vertreterinnen und Vertreter der Europäischen Union wurden aggressiv und ablehnend empfangen, einige der demonstrierenden Nationalisten bezeichneten uns als „Heiden“.
Mehrfach wurde von den Nebenanwälten die Räumung des Gerichtssaals und somit unser Verschwinden gefordert. Die Anwesenheit der EU-Delegation sei ein Versuch, die Unabhängigkeit der türkischen Justiz zu untergraben und ihre Entscheidungsbefugnis zu beschneiden. Die Stimmung war angespannt, immer wieder kam es zu tumultartigen Situationen.
Dass das Verfahren kurzfristig vertagt wurde beweist die Unfähigkeit und Intoleranz der türkischen Justiz. Der Ball liegt jetzt beim Justizministerium und dieses täte gut daran, den bisher entstandenen politischen Schaden zu begrenzen indem es seine Zustimmung zur Verfahrensaufnahme verweigert.
Deutlich klar ist jedoch bereits:
Auch nach dem neuen Strafgesetzbuch sind Grundrechte wie das Recht auf freie Meinungsäusserung in der Türkei nicht gesichert.

Solange Willkür und Intoleranz anstelle von demokratischer Rechtsstaatlichkeit und kultureller Offenheit stehen, bleibt der Zustand in der Türkei besorgniserregend und es wird auch in Zukunft Menschen geben, die wegen ihrer Meinung angeklagt und inhaftiert werden.
Ich fordere ein sofortiges Fallenlassen der Anklage gegen Orhan Pamuk und eine gründliche Überarbeitung der Artikel 301 und 305 des neuen türkischen Strafgesetzbuches im Sinne einer demokratischen, rechtsstaatlichen Jurisprudenz im Namen der Menschenrechte.