Europa bestimmt mehr und mehr unser Leben
Als ich im Sommer 1999 nach Brüssel aufbrach, wollte ich zum einen dazu beitragen, Europapolitik mehr als bisher in die gesellschaftliche Debatte zu Hause einzubringen. Das Ausmaß der europäischen Einflussnahme ist mir erst im Laufe dieser fünf vergangenen Jahre bewusst geworden: Von der Trinkwasserqualität über die Schulmilchförderung bis zur Raumtemperatur von Kindergärten, vom Tabakwerbeverbot bis zur Etikettierung gentechnisch veränderter Lebensmittel, von der Ausschreibung öffentlicher Leistungen bis zur Verteilung umfangreicher Strukturfondsmittel an die armen Regionen Europas – mehr als zwei Drittel der nationalen und regionalen Politik werden mittlerweile durch europäische Entscheidungen beeinflusst. Zum anderen hatte ich mir die EU-Regionalpolitik als Schwerpunkt ausgesucht, da ich als Abgeordneter aus einem neuen Bundesland wusste, wie sehr die ostdeutschen Länder auf die finanzielle Hilfe aus den EU-Strukturfonds angewiesen sind. Ihre Interessen wollte ich im Europäischen Parlament vertreten.
Förderung geht weiter
Wir konnten als Fraktion eine ganze Reihe politischer Erfolge verbuchen. Um einige Beispiele aus dem Bereich der EU-Strukturpolitik zu nennen: Wir konnten Mehrheiten dafür gewinnen, dass weiterhin 0,45 Prozent des EU-weiten Bruttoinlandsproduktes für Strukturfondsmittel aufgewendet werden und die vom so genannten „statistischen Effekt“ betroffenen Ziel-1-Regionen, darunter alle ostdeutschen Länder, auch nach der EU-Erweiterung nicht aus der Förderung herausfallen. Darüber hinaus wird es für sie weiterhin spezielle Beihilferegelungen geben. Der Versuch einiger Mitgliedstaaten, die Fördermittelpolitik zu renationalisieren, konnte abgewendet werden. All dies ist wichtig, weil damit das Solidaritätsprinzip innerhalb der EU aufrechterhalten wird und sowohl die benachteiligten Regionen der jetzigen EU, als auch die Regionen der neuen Mitgliedstaaten eine vernünftige Strukturförderung erwarten dürfen. Ein weiterer Vorschlag von uns, der mehrheitsfähig wurde: Nicht abgerufene EU-Fördermittel in Höhe von einer Milliarde Euro gehen nicht an die Mitgliedstaaten zurück, um deren Haushaltslöcher zu stopfen, sondern werden an bedürftige Regionen vergeben.
Berichte und Stellungnahmen erarbeitet
Neben meiner Arbeit im Ausschuss für Regional- und Verkehrspolitik, in deren Rahmen ich für das EP fünf Berichte und vier Stellungnahmen zu Legislativvorschlägen der Europäischen Kommission verfasst habe, war ich stellvetretendes Mitglied im Haushaltsausschuss des Parlaments sowie im Ausschuss für Wirtschaft und Währung. Hier habe ich in einem Bericht die Arbeit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, die in den Ländern des ehemaligen Ostblocks Wirtschaftsprojekte finanziert, evaluiert. Es war das erste Mal, dass das Europaparlament die Arbeit dieser Bank bewertet hat.
Wider den Liberalisierungs-Mainstream
Ein wichtiger Schwerpunkt meiner Arbeit war und ist die Auseinandersetzung mit der EU-Liberalisierungspolitik im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge. Auch wenn es sehr schwer ist, sich dem allgemeinen Liberalisierungs-Mainstream zu widersetzen, konnten wir als Fraktion in Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und lokalen Gebietskörperschaften auch hier Erfolge erzielen. So wurde das Vorhaben, die Hafendienstleistungen zu liberalisieren, vom Parlament komplett abgelehnt. Eine Liberalisierung hätte bedeutet, dass künftig das Schiffspersonal die Schiffe selbst be- und entladen hätte und somit 15.000 Hafenarbeiter und Schiffslotsen ihre Arbeit verloren hätten. Ein weiteres Beispiel: Die Europäische Union wollte eine Ausschreibungspflicht für den öffentlichen Personennahverkehr einführen. Das haben wir verhindert. Die Kommunen können selbst entscheiden, ob sie ausschreiben oder diese Leistungen in Eigenregie erbringen wollen.
Soziale Verbesserungen für Berufskraftfahrer
Mein wohl größter persönlicher Erfolg in dieser Legislaturperiode waren zwei Gesetzentwürfe zu Ruhe- und Lenkzeiten für Berufskraftfahrer. Herausgekommen ist eine europäische Gesetzgebung, die für die Kraftfahrer eine ganze Reihe von sozialen Verbesserungen mit sich bringt, gleichzeitig die Verkehrssicherheit erhöht und auch für mehr Gleichheit zwischen Fahrern aus EU- und Drittstaaten sorgt.
Auch außerhalb des Parlaments engagiert sein
Neben der rein parlamentarischen Tätigkeit habe ich im Parlament eine Ausstellung zu KZ-Gedenkstätten und einen Besuch im belgischen Résistance-Museum organisiert, habe einen Besuch des Regionalausschusses des Europäischen Parlaments in der Uckermark ausgerichtet, war beim WTO-Gipfel in Cancún und beim Europäischen Sozialforum in Paris. Auf zahlreichen Treffen mit europäischen und deutschen Gewerkschaften, Arbeitslosenverbänden, aber auch Unternehmensvereinigungen, auf Gewerkschaftskonferenzen in Spanien, Portugal, Griechenland, Slowenien und bei Veranstaltungen mit befreundeten Linksparteien in anderen Ländern kam es zu konstruktiven Debatten, die für die Arbeit im Parlament wertvolle Anregungen lieferten. Und besonders wichtig waren die vielen Veranstaltungen zu Hause, mit Vereinen und Verbänden, mit Gewerkschaften, mit Schulen, mit Besuchergruppen – um dem zu Beginn formulierten Anspruch, Europapolitik mehr ins Gespräch zu bringen, gerecht werden zu können.