Fünf Jahre Brüssel – Bilanz der PDS-Europaabgeordneten

Bei den Europawahlen am 13. Juni 1999 erhielt die PDS 5,8 Prozent der Wählerstimmen. Damit konnte sie erstmals in das Europäische Parlament einziehen. Gewählt wurden André Brie, Christel Fiebiger, Sylvia-Yvonne Kaufmann, Helmuth Markov, Hans Modrow und Feleknas Uca. Wir waren damit sechs Abgeordnete von insgesamt 626 Abgeordneten aus fünfzehn Staaten.

Die Fraktion der Linken im Parlament
Auf sich allein gestellt hätte unser Sechser-Team sicher nur wenig ausrichten können. Doch an der Seite unserer Kolleginnen und Kollegen der linken Fraktion haben wir in der vergangenen Legislaturperiode durchaus vieles bewegt. Unsere Fraktion im Europäischen Parlament trägt den Namen „Konföderale Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke“, kurz GUE/NGL. In ihr haben sich über ein Dutzend linker Parteien – sozialistische, linkssozialistische, kommunistische, trotzkistische und links-grüne Parteien – aus zehn Mitgliedsländern zusammengeschlossen. Insgesamt gehören der GUE/NGL 49 Abgeordnete an. Die linke Fraktion ist damit nach den Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen die viertstärkste politische Gruppierung.
Die fünf Jahre gemeinsamer Arbeit waren natürlich sehr ereignisreich und arbeitsintensiv. Aus der Vielzahl der Fraktionsinitiativen, die von uns PDS-Abgeordneten angeregt wurden, seien nur einige erwähnt: Die Tagung der Fraktion in Wien zum Thema Rechtsextremismus in Europa im April 2000, der Kongress „Kubanisch-Europäische Perspektiven“ im Juni 2001 in Berlin, die Entsendung einer Delegation des Europäischen Parlaments nach Afghanistan im Juli 2002, das Treffen zwischen europäischen und amerikanischen Kongressabgeordneten am Vorabend des US-Angriffs auf den Irak im März 2003, die Konferenz zur „Landwirtschafts- und Regionalpolitik der EU“ im brandenburgischen Perleberg im September 2003 und die Präsentation der Ausstellung „Erinnern, Gedenken, Forschen – 10 Jahre Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten“ im Mai 2003 in Brüssel. Ein besonderer Erfolg für die Gruppe waren die Studientage der Fraktion in Schwerin im September 2001. Es ging um die Lage der Werften, um die Arbeitsmarktprobleme, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit dem benachbarten Polen oder Fragen der Landwirtschaft. Wichtig war vor allem, dass es gelang, den Abgeordneten vor Ort die spezifischen Probleme Ostdeutschlands näher zu bringen.
Die PDS-Gruppe im EP war von Anfang an eine zuverlässige Stütze für die Fraktion. Eine wichtige Rolle spielte dabei, dass Helmuth Markov als Schatzmeister, Hans Modrow als Koordinator für Erweiterungsfragen und Sylvia-Yvonne Kaufmann als stellvertretende Fraktionsvorsitzende Verantwortung innerhalb der Fraktion übernahmen.

Viel Arbeit und so manche Erfolge
Die Europaabgeordneten der PDS trugen als Berichterstatter des EP die Verantwortung dafür, die Position des Parlaments zu verschiedenen Themen zu fixieren. Helmuth Markov etwa war zuständig für den Bericht „Die Regionen in der neuen Wirtschaft – Leitlinien für die innovativen Maßnahmen der europäischen Regional- und Strukturfonds im Zeitraum 2000 – 2006“. Er war auch Berichterstatter über die Strukturfonds für ultraperiphere Regionen und zu Fragen des Straßenverkehrs. André Brie war Berichterstatter des Europaparlaments zu Afghanistan und Hans Modrow zeichnete für den Bericht „Entwicklungszusammenarbeit: staatliche Unternehmen, öffentliche Dienste und Wirtschaft der Entwicklungsländer“ verantwortlich. Sylvia-Yvonne Kaufmann erstellte den Parlamentsbericht zum „Weißbuch der Europäischen Kommission über europäisches Regieren“. Sie vertrat darüber hinaus die Fraktion im Grundrechtekonvent und im Konvent zur Zukunft Europas, der den Entwurf für den europäischen Verfassungsvertrag ausarbeitete. Christel Fiebiger vertrat die GUE/NGL im ad hoc-Ausschuss zur BSE-Krise. Feleknas Uca wirkte aktiv in der Türkei-Delegation des Parlaments mit und engagierte sich besonders für die Freilassung der kurdischen Parlamentsabgeordneten Leyla Zana sowie die Rechte von Kurdinnen und Kurden in der Türkei.
Ja, wir haben uns eingemischt, haben dabei eigenständige Positionen entwickelt und konnten auch manches erreichen. Ohne uns wäre etwa das Recht auf Wehrdienstverweigerung nicht in die EU-Grundrechtecharta aufgenommen worden. Europaabgeordnete der PDS und die der anderen linken Parteien haben verhindert, dass es einen europaweiten Ausschreibungszwang für die Leistungen des Öffentlichen Personennahverkehrs gibt, und sie haben dafür gesorgt, dass ostdeutsche Agrarbetriebe nicht von der EU finanziell diskriminiert werden. Wir haben einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass die Liberalisierung der Hafendienstleistungen verhindert werden konnte, und es ist Ergebnis unserer Arbeit, dass die EU verbesserte Sozialvorschriften für Berufskraftfahrer erlassen hat.
Der Film des britischen Dokumentarfilmers Jamie Doran, der zeitgleich in Berlin und Straßburg uraufgeführt wurde, machte die Öffentlichkeit bis hin nach Australien auf massive Menschenrechtsverletzungen der US-amerikanischen Truppen in Afghanistan aufmerksam. Man kann daher sagen: Manches Wichtige wäre im Europäischen Parlament in den vergangenen fünf Jahren ohne die PDS-Europaabgeordneten nicht geschehen oder anders gelaufen. Natürlich gelang uns schon allein aufgrund der zahlenmäßigen Unterlegenheit der Linken im Parlament nicht, etwa die neoliberale Grundausrichtung der EU-Politik zu korrigieren. Oben genannte Beispiele zeigen aber, dass es sich lohnt, Widerstand gegen unsoziale Politik zu leisten und dass linkes Engagement auch und gerade in Europa wichtig ist.

Eine aktive Öffentlichkeitsarbeit
Leider ist es so, dass in der Öffentlichkeit nach wie vor viel zu wenig über Europa bekannt ist. Deshalb haben wir es als eine unserer wichtigsten Aufgaben angesehen, über den Aufbau und die Funktionsweise der EU-Institutionen, die verschiedenen Politikbereiche der EU sowie über unsere eigene Arbeit zu informieren. Dies geschah in unzähligen Veranstaltungen und Gesprächen vor Ort in der gesamten Bundesrepublik, durch die Veröffentlichung hunderter Presseerklärungen, von Artikeln, Stellungnahmen und Redetexten. Immer wieder wiesen wir darauf hin, dass gut 70 Prozent der in Deutschland auf Bundes- wie auf Landesebene erlassenen Gesetze und Verordnungen bereits heute auf europäischem Recht beruhen, und dass es daher für die politische Arbeit auf jeder Ebene unabdingbar ist, sich mit den Entscheidungsprozessen in Europa intensiv auseinander zu setzen.
Mit „europarot“ informierten die PDS-Europaabgeordneten seit Juni 2000 in einem achtseitigen Informationsblatt alle zwei Monate über zentrale politische Fragen der Europapolitik, über ihre Positionen bzw. über Aktivitäten der Fraktion. Jede Ausgabe enthielt einen besonderen Themenschwerpunkt, insgesamt 17 Ausgaben sind bislang erschienen.
Seit Juli 2000 besteht mit www.pds-europa.de unsere Website im Internet. In der Rubrik „Positionen und Dokumente“ werden dort alle Reden der MdEPs, Artikel, Studien und Presseerklärungen veröffentlicht. Man findet dort außerdem Hinweise auf unsere Veranstaltungstermine. Darüber hinaus kann man von der Website auch die in den fünf Jahren erstellten Auftragsstudien einsehen bzw. herunterladen. In unserer Reihe „Materialien“ wurden zehn dieser Studien zudem in gedruckter Fassung herausgegeben, einige sind auch in Buchform veröffentlicht worden. Seit November 2002 bieten wir unter www.pds-europaservice.de umfassende Informationen zu den Förderprogrammen der EU an. Neben wichtigen Adressen und Tipps sind dort auch konkrete Hilfestellungen für die Antragsstellung zu finden.

Was gehört noch zu unserer Bilanz?
Zum Beispiel, dass mehr als 30 Praktikantinnen und Praktikanten in unseren Büros in Brüssel die Arbeit im Parlament kennen lernten, und sie uns auf so manch neue Idee brachten. Wir empfingen zahlreiche Besuchergruppen aus allen Regionen unseres Landes, wodurch sich Bürgerinnen und Bürger in Brüssel und Straßburg ein eigenes Bild von Europa machen konnten. Und schließlich möchte ich noch erwähnen, dass die PDS-Abgeordneten mit Spenden von ihren Diäten diverse sinnvolle Projekte unterstützten und nicht selten damit deren weiteres Überleben gesichert haben. Als Gruppe haben wir mehr als 35.000 Euro dafür zusammengebracht. Darüber hinaus hat jeder einzelne noch individuell Spenden getätigt.
Es kann also zu Recht gesagt werden, dass die „6 aus 626“ in der Zeit zwischen 1999 und 2004 erfolgreich gearbeitet haben. Die Hoffnungen und Erwartungen der Wählerinnen und Wähler, die uns damals gewählt hatten, haben die PDS-Europaabgeordneten, denke ich, jedenfalls nicht enttäuscht.