Wer Europa verändern will, muss sich einmischen
Meine Arbeit im Europäischen Parlament habe ich von Anfang an als Auftrag verstanden, so wirksam wie möglich Druck von links zu entfalten. Denn wir als PDS wollen, dass sich Europa verändert – im Interesse aller in der EU lebenden Menschen. Ich hatte mir als Schwerpunktthemen Friedenspolitik, Verfassungsfragen, Bürgerrechte sowie Euro und Stabilitätspakt vorgenommen. Da die Linken im Europaparlament eine Minderheit sind, müssen sie mehr Arbeitsgebiete beackern als die Abgeordneten der großen Fraktionen. Ich wusste, was auf mich zukommt, denn ich hatte das Parlament bereits zwischen 1991 und 1994 als Beobachterin kennen gelernt und auch in den Jahren danach den Kontakt zu unserer Fraktion, der GUE/NGL, gehalten. Im Europäischen Parlament gibt es für einzelne Abgeordnete mehr politische Spielräume etwas zu bewegen, vor allem deshalb, weil hier häufig wechselnde politische Mehrheiten möglich sind. So sind denn vor allem Kompetenz und Verhandlungsgeschick gefragt, um linken Positionen Geltung zu verschaffen.
Soziale Bewegungen im Blick
Neben der parlamentarischen Arbeit habe ich versucht, meine Möglichkeiten als Abgeordnete zu nutzen, um soziale Bewegungen zu unterstützen. Nach den Demonstrationen gegen den G8-Gipfel in Genua im Juni 2001 war ich zum Beispiel in Italien, um mit der Staatsanwaltschaft und den politisch Verantwortlichen zu sprechen, damit die dort inhaftierten Demonstranten aus der Bundesrepublik frei gelassen werden. Als die jungen Leute wenig später tatsächlich aus dem Gefängnis entlassen wurden, war ich schon ein wenig stolz darauf, mit dazu beigetragen zu haben.
An der Verfassung mitgewirkt
Im Parlament war ich Mitglied im „Ausschuss für konstitutionelle Fragen“ sowie stellvertretendes Mitglied im „Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten“. Von 2000 – 2003 war ich darüber hinaus sowohl Mitglied des Konvents zur EU-Grundrechtecharta als auch des Europäischen Verfassungskonvents. Ich habe als einzige deutsche Europaabgeordnete (und auch einzige Frau aus der Bundesrepublik) in beiden Konventen mitgearbeitet. Insbesondere der Verfassungskonvent war mit einem Berg zusätzlicher Arbeit verbunden, schließlich musste ich mich dabei en detail durch den in Jahren angewachsenen Dschungel des EU-Vertragsrechts arbeiten. Zudem habe ich zwei umfassende eigene Beiträge vorgelegt: „Ein Verfassungsvertrag für ein soziales Europa“ (Konventsdokument Nr. 190/1/02) und „Anforderungen an den Verfassungsvertrag für eine friedensfähige Europäische Union“, (Konventsdokument Nr. 681/03). Sowohl beim Konvent zur EU-Grundrechtecharta als auch im Verfassungskonvent ist es mir gelungen, die Abfassung diverser Vertragsartikel inhaltlich mit zu beeinflussen. So ist der Artikel 23 der Grundrechtecharta zur Gleichstellung von Männern und Frauen ein „Kaufmann-Artikel“, den ich mit partei- und fraktionsübergreifender Unterstützung aller Frauen im Konvent zur Grundrechtecharta durchgesetzt habe. Im Verfassungskonvent konnte ich dank der aktiven Hilfe vieler NGOs u. a. gegen den Widerstand des deutschen Regierungsvertreters Glotz (SPD) durchsetzen, dass zum Thema „Soziales Europa“ eine offizielle Arbeitsgruppe eingesetzt wurde. Einige ihrer Empfehlungen fanden schließlich Eingang in den Verfassungsentwurf. Bekanntlich orientiert der Verfassungsentwurf die EU auf einen militärinterventionistischen Kurs, was die PDS strikt ablehnt. Wir wollen, dass Europa in der internationalen Politik als Zivilmacht agiert. Gerade deshalb ist es mir wichtig, dass es immerhin gelang, im Verfassungsentwurf die Pflicht der EU zur Friedensförderung und zur Einhaltung des Völkerrechts und der Grundsätze der UNO-Charta festzuschreiben. Für linke alternative Politik kann dies künftig eine wichtige Berufungsgrundlage sein.
„Europa“ ist nicht „weit weg“
Im Gegenteil: Das Alltagsleben der Menschen wird mehr und mehr durch europäische Gesetze bestimmt. Aber das geschieht für viele meist anonym. Genau an diesem Punkt will ich auch in Zukunft ansetzen und aufzeigen, dass sich Bürgerinnen und Bürger einmischen können und müssen. Europa wird nur dann sozialer, wenn mehr Druck gemacht wird. Allein im Jahr 2003 bin ich für ca. 80 Veranstaltungen quer durch die Republik gereist und habe mit den unterschiedlichsten Menschen über Europa diskutiert. Besondere Freude machen mir Begegnungen mit jungen Leuten. Sie sind wissbegierig, und sie haben meist sehr gut verstanden, dass es nicht um irgendein abstraktes „Europa“, sondern ganz konkret um ihre Zukunft geht – und die liegt im Zusammenwachsen Europas und nicht in nationalstaatlicher Kleingeisterei.
Ich bin davon überzeugt: Nach dem 13. Juni 2004 wird die PDS wieder mit einer starken linken Fraktion dafür kämpfen, Europa weiter zu verändern, es sozial, friedlich und demokratisch zu gestalten. Künftig wird erst recht gelten: Was in Straßburg oder Brüssel entschieden wird, beeinflusst unmittelbar unser aller tägliches Leben, sei es nun in der Uckermark oder am Bodensee. Deshalb ist es so wichtig, sich in Europa einzumischen. Ich werde es auf jeden Fall tun.