Umsetzung der EU-Agrarreform – ein Experiment mit großen Fragezeichen
Die auf die weitere Liberalisierung der EU-Agrarwirtschaft gerichtete Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik beinhaltet einen Systemwechsel in der Agrarförderung: Künftig werden die Prämien nicht mehr für die Produktion von Agrarerzeugnissen, sondern für Gemeinwohlleistungen (z. B. für den Schutz natürlicher Ressourcen) gezahlt. Die als handelsverzerrend geltenden Produktionsstützungen sollen so „WTO-konform“ gemacht werden, um die Position der Union als zweitgrößter Agrarexporteur der Welt zu sichern. Die Landwirte sollen nur das produzieren, was auf dem Markt nachgefragt wird und ihr Standort hergibt.
Die Weltmarktorientierung der Reform wird zur Beschleunigung des Strukturwandels und zur verstärkten Aufgabe der Landwirtschaft in Gebieten mit ungünstigen natürlichen Produktionsbedingungen sowie zum Ausbluten ländlicher Räume führen. Eine wirkliche Alternative wäre eine Reform, die – ausgehend vom „Konzept der Ernährungssouveränität“ – das Recht auf regionale Produktion für die Versorgung der eigenen Bevölkerung in Europa und in allen Teilen der Welt sicherstellt. Dafür ist ein qualifizierter Außenschutz unabdingbar.
Der deutsche Weg
Für die Reformumsetzung haben die EU-Staaten Spielräume. Deutschland nutzt diese. Das vom Bundestag am 1. April mit den Stimmen von Rot-Grün beschlossene Gesetz zur Umsetzung der Reform ist jedoch umstritten; die Entscheidung dürfte erst im Vermittlungsausschuss fallen.
Kontrovers ist, dass Deutschland – im Unterschied zu anderen EU-Staaten – sämtliche Prämienzahlungen bereits ab 2005 von der Produktion entkoppelt und den Betrieben die Prämien nicht nach dem Standardmodell zuweisen will. Kernstück des Gesetzes ist ein Kombinationsmodell aus flächenbezogenen und betriebsindividuell zugewiesenen Prämienrechten, das bis 2012 in eine regional einheitliche Flächenprämie münden soll. Hierbei wird ein Teil der bisherigen Prämien auf Basis der Jahre 2000 bis 2002 zunächst betriebsindividuell gewährt, ebenso die künftige Milchprämie. Der andere Teil der Prämien wird dem gesamten Grün- und Ackerland einer Region zugewiesen und als je Hektar regional einheitliche Grünlandprämie und Ackerflächenprämie an die Betriebe ausgereicht. Ab dem Jahr 2007 sollen die betriebsindividuellen Prämienrechte abgeschmolzen und dem regionalen Flächenprämienrecht zugeschlagen werden. Der Abschmelzungsprozess soll 2012 mit einem einheitlichen Hektar-Zahlungsanspruch je Bundesland enden.
Das Gesetz sieht auch eine begrenzte Umverteilung von Prämienrechten zwischen den Bundesländern vor, um historisch bedingte, aber heute nicht mehr zu rechtfertigende Prämienunterschiede teilweise auszugleichen.
Kritik und Forderung
Noch bei keiner Agrarreform waren die Auswirkungen so unklar wie bei dieser. Klar scheint nur, dass die Produktion (besonders von Rindfleisch und Getreide) zurückgeht, der Rationalisierungs- und Modernisierungsdruck wächst und Arbeitsplätze verloren gehen. Nur getrauen sich weder Bundesregierung noch Wissenschaft die Ausmaße zu prognostizieren. Anstatt sich diesen wichtigen Fragen zuzuwenden, erleben wir eine kontroverse Diskussion um die Umverteilung der Prämien zwischen Reformgewinnern und
-verlierern. Im Grunde ist das ein Konflikt zwischen „Besitzstandswahrung“ und „Gerechtigkeit“. Und der ist nicht mit der Brechstange zu lösen. Deshalb steht im PDS-Europawahlprogramm:
„Beim Umbau des Agrarförderungssystems, der mit erheblichen Umschichtungen zwischen Betrieben und Regionen verbunden sein wird, sollten die nationalen Entscheidungsspielräume so genutzt werden, dass die Umschichtungen aus Einkommensgründen nicht abrupt sondern als mehrjähriger Übergang erfolgen.“
Wie unausgegoren und risikobehaftet das Gesetz ist, zeigen folgende drei Punkte aus der Problemfülle:
Bislang galt als „normal“, dass in einem Jahrzehnt die Hälfte aller Milchbauern ihre Produktion einstellen. Jetzt wird befürchtet, dass die Reform zu noch umfangreicheren Existenzaufgaben von Milchviehbetrieben führt, weil die Bauern durch Preissenkung, eine Milchprämie, die nur 58% der Preissenkung kompensiert, und Prämienabschmelzung dreifach getroffen werden. Deshalb ist die Verschiebung des Beginns der für 2007 vorgesehenen Prämienangleichung auf 2010 oder später geboten. Auch dann sollte erst mit kleinen Schritten begonnen werden (progressiver Angleichungsverlauf). Das würde den Betrieben die Anpassungszeit für ihre künftige Wettbewerbsfähigkeit und zur Vermeidung der Entwertung von Investitionen und Gesellschafteranteilen geben.
Zur Vermeidung künftiger Überproduktion soll die Rindfleischproduktion verringert werden. Das ist akzeptabel. Jedoch nicht, dass die deutsche Produktion überproportional zurückgehen könnte und Länder, die ihre Prämien nur teilentkoppeln, mit ihren Rindfleisch auf den deutschen Markt drängen. Das ginge zu Lasten von Arbeitsplätzen und Einkommen. Daher sollte die Bundesregierung ein EU-einheitliches Vorgehen anstreben.
Unakzeptabel ist, dass bei uns höhere und zeitlich vorweg genommene Standards bei der Bindung der Prämien an Gemeinwohlleistungen angewandt werden sollen. Das gefährdet im Wettbewerb unter EU-Binnenmarktbedingungen Produktion und Arbeitsplätze. Deshalb müssen die EU-Richtlinien bei Umwelt-, Natur- und Tierschutz und Lebensmittelsicherheit eins zu eins umgesetzt werden.
Insgesamt darf bei der Agrarreformdebatte nicht vergessen werden, dass ein Bauer, der 130 Leute satt macht, die wichtigste und unverzichtbare Gemeinwohlleistung erbringt.