Venezuela und wir
Der 15. August 2004 war ein guter Tag für Venezuela. An diesem Sonntag wurde der venezolanische Präsident Hugo Chávez mit einer deutlichen Mehrheit von 59% der WählerInnen in seinem Amt bestätigt. Ein weiterer Versuch der rechten Opposition, die Regierung zu stürzen, war gescheitert. Damit kann das „bolivarianische Projekt“, das auf eine Umverteilung des Reichtums setzt und Alternativen zum neoliberalen Wirtschaftsmodell schaffen will, weitergehen. Ein Projekt, das auch im Europa des grassierenden Sozialabbaus immer mehr Interesse weckt.
Seit Beginn der Amtszeit von Hugo Chávez im Jahre 1998 bemüht sich die venezolanische Opposition, die Regierung zu stürzen. Dabei setzt sie auf offene Destabilisierungsversuche und schreckte im April 2002 nicht einmal vor einem Putsch zurück, der jedoch scheiterte. Unterstützt wird sie in ihrem Tun nicht nur von den USA, die die Ausstrahlungskraft des venezolanischen Projekts auf die Nachbarländer fürchten. Nein, auf Unterstützung konnte die Opposition auch bei der EU zählen, die ihre Aktivitäten nicht nur stillschweigend billigte, sondern sogar deutlich befürwortete: So wurde die Putschregierung 2002 von der damaligen spanischen EU-Ratspräsidentschaft umgehend anerkannt.
Angesichts dieser Vorgeschichte wundert es nicht, dass die EU auch beim Referendum eine wenig positive Rolle spielte. Nicht nur, dass sie mit fadenscheiniger Begründung keine offiziellen Beobachter entsandte. Auch ihre Statements zum Wahlausgang zeigten, dass ihr das Ergebnis wenig lieb war: Aus diplomatischer Sicht in geradezu schroffer Weise ließ die EU-Präsidentschaft mit dürren Worten verlauten, dass sie vom Ausgang des Referendums und der Einschätzung der Wahlbeobachter „Kenntnis erlangt“ habe, zur hohen Wahlbeteiligung gratuliere und im übrigen auf Stabilität hoffe. Keinerlei positive Bemerkung über den fairen Verlauf des Referendums – im Gegenteil: die gewählte Formulierung ließ gar Platz für Zweifel. Von einem sonst üblichen Glückwunsch an den Wahlgewinner ganz zu schweigen.
Dabei hatte das Referendum klar gezeigt, welch großen Rückhalt Hugo Chávez in der Bevölkerung hat. Ich konnte dies mit eigenen Augen sehen, als ich zusammen mit anderen europäischen Abgeordneten in der venezolanischen Hauptstadt Caracas war, um für die linke Fraktion im Europaparlament das Referendum zu beobachten. Von Politikverdrossenheit keine Spur – stundenlang harrten die Menschen vor den Wahllokalen aus, um ihre Stimme abzugeben. Für mich ein Beleg, dass Wahlmüdigkeit kein Naturereignis ist, sondern viel damit zu tun hat, ob es Alternativen gibt, für die sich der Einsatz lohnt. Welch ein Unterschied zur Situation in Europa, wo sich gesellschaftliche Unzufriedenheit in geringer Wahlbeteiligung und in Stimmengewinnen rechtsextremer Parteien äußert, die auf Abgrenzung, dumpfe Parolen und Hass setzen! In Venezuela hingegen tanzten die Menschen auf der Straße, als gesichert war, dass Chávez im Amt bleibt und damit auch die Sozial- und Alphabetisierungsprojekte weitergehen werden.
Nur in den reichen Bezirken von Caracas war der 15. August kein Fest. Obwohl der Verlauf des Referendums von den internationalen Wahlbeobachtern durchgängig als fair eingestuft wurde, bezichtigte die Opposition die Nationale Wahlbehörde eines gigantischen Betrugs. Diese Position hat sie bis heute nicht aufgegeben. Die stichprobenartige Überprüfung der Ergebnisse – die das Resultat der Wahl bestätigte – lehnte sie von vornherein ab. Gerade erst bezeichnete sie die Zurückweisung einer Petition zur Annullierung des Wahlergebnisses durch die Wahlbehörde als erneuten Beleg für den angeblichen Betrug. Dialogangebote der Regierung schlug sie aus. Das Verhalten der Opposition seit der Wahl zeigt deutlich, dass es ihr nicht um demokratische Ergebnisse, sondern nur um eins geht: Mit welchen Mitteln auch immer die Macht zurück zu erobern.
Es wird auch auf die Position der EU ankommen, wie sich die Lage in Venezuela weiter entwickelt. Die Opposition wird zweifellos ihre Obstruktionspolitik gegenüber der Regierung fortführen und ist sich hierbei der Unterstützung der USA gewiss. Dass diese sich während des Referendums ruhig verhalten haben, ist einzig der Tatsache geschuldet, dass den USA im Wahljahr ein von Unruhen erschütterter Öllieferant Venezuela nicht in den Kram passt. Grundsätzliches Ziel der USA ist jedoch weiterhin eine Beseitigung der Chávez-Regierung. Die EU muss sich entscheiden, ob sie dabei Schützenhilfe leisten will, oder ob sie nicht vielmehr Venezuela zugesteht, einen anderen Entwicklungsweg zu gehen als die Länder Lateinamerikas, die von Elend und Hoffnungslosigkeit geprägt sind und von deren Reichtum ausschließlich eine kleine Elite profitiert. Das bisherige Verhalten der EU lässt nichts Gutes ahnen. Umso wichtiger ist es, dass auch in Deutschland Druck entfaltet wird, um diese Position zu ändern. Venezuela verdient Unterstützung, damit es seinen eigenen Weg gehen kann. Einen Weg, der auch für uns in Europa von Relevanz ist.n
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