Flüchtlingsdrama im Mittelmeer

„Jedes Jahr, besonders im Sommer, wenn das Mittelmeer ruhiger ist, machen sich Zehntausende auf den Weg nach Norden, in die gelobten Länder der EU.“ So ein Bericht des NDR. Im Jahr 2004 war die Situation etwas anders. 37 afrikanische Flüchtlinge wurden vom Schiff Cap Anamur der gleichnamigen Hilfsorganisation aufgenommen, allerdings wurde das Schiff nicht an Land gelassen, ein Teil der Besatzung, Kapitän Stefan Schmidt, Cap Anamur- Leiter Elias Bierdel und der erste Offizier Wladimir Daschkewitsch wurden von der italienischen Polizei festgenommen. Schiffbrüchige zu retten, ist im Übrigen die Pflicht eines jedes Kapitäns, Flüchtlinge an Land zu bringen, das wiederum sanktioniert das europäische Asylregime. Ein Widerspruch, den die meisten Kapitäne dadurch „lösen“, dass sie schiffbrüchige Flüchtlinge einfach nicht aufnehmen.
Die linke Fraktion im Europaparlament entsandte die parteilose Abgeordnete der Rifondazione Comunista, Luisa Morgantini, und mich nach Sizilien. Am 15. Juli flog ich von Brüssel nach Palermo. Zuerst fand ein „nettes“ längeres Gespräch mit dem zuständigen Oberstaatsanwalt statt. Er ließ durchblicken, dass ihm das Ganze mit Cap Anamur bald zu viel werde. Im Gefängnis bei Agrigento wurde uns dann mitgeteilt, dass der Richter die Freilassung der Cap Anamur Gefangenen verfügte. Nun allerdings davon auszugehen, dass sie sofort frei kämen, war eine Täuschung. Die Auflagen waren sehr hart: Verbot des Aufenthaltes in ganz Süditalien und Beschlagnahmung des Schiffes. Nach einigen Verzögerungen durften wir zu den Gefangenen und teilten ihnen mit, dass sie freigelassen werden. Von den vielen vor dem Gefängnis aufgenommenen Interviews und Berichten deutscher Medien wurde nur ein kleiner Teil veröffentlicht, z.B. in der ARD-Tagesschau, in der auch ich zu Wort kam. Ein Besuch der 37 Flüchtlinge in Caltanissetta aber war nun aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich. Insofern war die Verzögerungstaktik der italienischen Behördenvertreter erfolgreich. An den Cap-Anamur-Flüchtlingen wurde auch ein Exempel statuiert. Obwohl eine ganze Reihe von Aufnahmeangeboten von Städten wie Rom und Venedig vorlagen, wurden sie abgeschoben.
Der designierte italienische EU-Justizkommissar Rocco Buttiglione hält die von Deutschlands Innenminister Otto Schily (SPD) angeregte Einrichtung von Flüchtlings-Auffanglagern in Nordafrika für eine „gute Idee“. Das nun in der EU angestrebte Konzept der so genannten „sicheren Drittstaaten“ macht es Flüchtlingen praktisch unmöglich in die EU zu kommen. Gleichzeitig rüsten die EU und die EU-Staaten auf, z.B. mit dem aus EU-Geldern finanzierten System Sive (Integrated External Vigilance System) bei dem mit hochauflösenden Infrarotkameras und mit Radarsystemen auf Türmen, Patrouillenbooten und Helikoptern das Meer vor der Küste nach „illegalen“ Einwanderern abgescannt wird.
„Der Fall Cap Anamur beschäftigte Heerscharen von Journalisten sowie höchste Regierungsstellen in Italien und Deutschland. Irgendwann wird auch diese Geschichte zu Ende erzählt sein, der Medientross wird abziehen, die Politiker sich beruhigen. Doch das eigentliche Drama, das sich täglich auf dem Mittelmeer abspielt, wird weitergehen,“ so ein Medienkommentar. Pro Asyl schätzt, dass in den vergangenen Jahren rund 5.000 Menschen im Meer zwischen Südeuropa und Afrika ertrunken sind. Für mich bleibt als Fazit: Nein, wir dürfen uns nicht beruhigen. Es ist unsere Pflicht als Abgeordnete und als Menschen uns für andere Menschen in Not einzusetzen. Sich dieser mörderischen Flüchtlingspolitik zu widersetzen, muss selbstverständlich werden.