ALTHEA-Operation „heilende Göttin“: Die EU-Militärmission in Bosnien
Im Dezember 2004 wird die NATO ihren seit neun Jahre dauernden Einsatz zur Befriedung Bosnien-Herzegowinas beenden. Die meisten Soldaten der Stabilisierungstruppe SFOR werden aber nicht abziehen, sondern einfach ein neues Abzeichen bekommen, auf dem dann „ALTHEA“ steht. Das ist der Name der Militärmission, die die Europäische Union führen wird. Es ist der bislang größte militärische Einsatz der EU.
Der Codename der EU-Operation „Althea“ bedeutet „heilende Göttin“ und stammt aus der Antike. Schon der erste Kampfeinsatz der EU im Kongo, die Operation Artemis hatte sich eines Kommadocodenamens aus der griechischen Mythologie bedient. Doch während Artemis, die Göttin der Jagd, noch relativ bescheiden daherkam (1.400 Soldaten), werden am 3. EU-Militäreinsatz, mit der ALTHEA-Operation über 7.000 Soldaten beteiligt sein. Die Bundeswehr ist mit insgesamt 1.300 Soldaten dabei. Der deutsche Admiral Rainer Feist, bis Mitte September 2004 stellvertretender Oberbefehlshaber der NATO in Europa (DSACEUR des SHAPE) und gleichzeitig auch der militärische Chef der EU-Mission, betonte jüngst noch einmal, dass die Europäische Union sich sozusagen Personal und Geräte bei der NATO ausleiht – nur die politische Verantwortung werde wechseln. Im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments erklärte er offenherzig, dass für die Umwidmung eines NATO-Quartiers in ein EU-Quartier lediglich das „Heraushängen der EU-Fahne“ vonnöten sei.
Abgesehen von dieser äußerst engen Kooperation bleibt die NATO auch selbst weiter vor Ort. In Sarajewo wird ein Hauptquartier mit 250 zivilen und militärischen Mitarbeitern errichtet, deren Aufgabe u. a. darin bestehen soll, „den Dialog der NATO mit Bosnien über die Verteidigungsreform fortzuführen“ und „gemeinsame Verantwortung mit der EU für Maßnahmen bei der Bekämpfung des Terrorismus“ zu übernehmen. Presseberichten zufolge wird die NATO-Truppe voraussichtlich auf dem gleichen Gelände und in dem gleichen Gebäude untergebracht werden, wie das Hauptquartier von ALTHEA – allerdings werden NATO und EU getrennte Eingänge benutzen.
Fakt ist zudem, dass das Europäische Parlament, wie bei anderen Militärmissionen auch, keinerlei Mitentscheidungsrecht hat. Nicht einmal eine Konsultation findet statt. Informationen fließen nur spärlich, auch wenn die Oberkommandierenden im zuständigen Ausschuss des Parlaments auftreten. Gelder aus dem EU-Haushalt werden allerdings nicht für die „Mission“ aufgewendet. So entrichten die Mitgliedstaaten gesonderte Beiträge, um die Mission außerhalb des Haushaltsplans der Europäischen Union zu finanzieren. Für die ersten Monate ist von einem Finanzbedarf von 71,7 Millionen Euro die Rede, die nach einem eigens zu diesem Zwecke am 23. Februar 2004 geschaffenen Mechanismus von den Mitgliedstaaten aufgebracht werden (2004/197/GASP).
Damit ist die ALTHEA-Mission nur der vorläufige Höhepunkt der Militarisierung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP). Erklärtes Ziel ist es, immer aufwendigere Operationen durchzuführen. Mittelfristig geht es um die Herstellung und Erprobung der globalen Kriegsführungsfähigkeit der EU, in einem komplexen Kooperations- und Konkurrenzverhältnis zur NATO. In der Bundesrepublik werden Erinnerungen an die frühen 90er Jahre wach. Auch damals konnte sich niemand vorstellen, dass aus einer Sanitätsmission der Bundeswehr in Kambodscha Anfang der 90er Jahre – über die schrittweise Gewöhnung an militärische Auslandseinsätze – nur wenige Jahre später die Beteiligung am Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien werden könnte.
So sorgt sich denn auch heute das Europäische Parlament lediglich darum, vergleichbar mit der übergroßen Mehrheit des Deutschen Bundestages damals, dass „eine breite Unterstützung in der Öffentlichkeit und allerhöchste Standards demokratischer Legitimität angestrebt werden sollten“, so heißt es jedenfalls im zugehörigen Berichtsentwurf des Parlaments. Nur von Zeit zu Zeit blitzen einmal wirkliche Bedenken bei einigen auf, die sich ansonsten, gerade was die deutschen Mitglieder angeht, von Grünen bis CDU/CSU nahezu vollständig einig sind. So erklärte der Unterausschussvorsitzende Karl von Wogau – offensichtlich einer der Vertreter der deutschen Rüstungsindustrie im Ausschuss – dass es schon bedenklich sei, wenn diese Missionen aus Schattenhaushalten bezahlt würden, die weder von den nationalen Parlamenten noch vom Europäischen Parlament kontrolliert werden. Ansonsten werden unter einer parlamentarischen Kontrollfunktion andere Dinge verstanden. So etwa die Sorge des Sicherheitsausschussmitglieds Angelika Beer um das reibungslose Funktionieren der europäischen Geheimdienstzusammenarbeit in Bosnien.
Mehr Infos dazu unter:
Webseite des Rates zu EU-Militäroperationen
http://ue.eu.int/cms3_fo/showPage.asp?lang=de&id=268&mode=g&name
Webseite des Unterausschusses für Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments
http://www.europarl.ep.ec/committees/
sede_home.htm