Friedensmacht EU? Die Potenziale der Europäischen Union als globaler Akteur mit friedenspolitischen Orientierungen

Joachim Schmidt und Gerry Woop

Bis vor wenigen Jahren trat die Europäische Union (EU) wie zuvor die Eu-ropäische Gemeinschaft auf der weltpolitischen Bühne nahezu ausschließlich als – wenn auch außerordentlich bedeutender – wirtschaftlicher Faktor in Er-scheinung. Als politisch handelndes Subjekt spielte sie in der Weltpolitik eine beinahe zu vernachlässigende Rolle, die jedenfalls ihrer herausragenden wirtschaftlichen Macht in keiner Weise entsprach. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union (GASP) führte ein Schatten-dasein vor dem Hintergrund der oftmals konkurrierenden Außenpolitiken ihrer Mitgliedstaaten, wurde teilweise von diesen konterkariert und ge-legentlich sogar desavouiert. Spätestens die Hilflosigkeit und das fol-genschwere Versagen der Außenpolitik der Union angesichts des Zerfallspro-zesses Jugoslawiens offenbarten diesen prekären Zustand der EU-Außenpolitik vor aller Welt.

Seit Ende des letzten Jahrzehnts sind die Bestrebungen, diese Situation zu ändern unübersehbar und mit konkreten Folgen und Ergebnissen verbunden. Die EU ist in der Weltpolitik zunehmend als politischer Faktor präsent und agiert als solcher. Die Strukturen der GASP wurden forciert ausgebaut, neue, handlungsfähige Gremien und außenpolitische Instrumentarien wurden entwickelt und eingesetzt. Ein Ende dieses Prozesses ist derzeit nicht abzuse-hen, und ob er schließlich auf eine vergemeinschaftete Außenpolitik der Union hinauslaufen wird und von welchen Prinzipien und Inhalten diese dann ge-leitet sein wird, ist nicht exakt zu prognostizieren.

Sowohl institutionell als auch deklaratorisch sind allerdings Entwick-lungsrichtungen vorgegeben und eingeschlagen worden, die es für linke, emanzipatorische Politikentwicklung erlauben, wenn nicht verlangen, sich der unter friedenspolitischen Gesichtspunkten relevanten Fragestellung zuzuwen-den, über welche politischen und normativen Werte und über welche Instru-mente im Bereich ihrer Außenpolitik die Europäische Union derzeit und in absehbarer Zukunft verfügt, und ob diese geeignet sind, gewaltsam ausgetra-genen Konflikten vorzubeugen und/oder eine zivil orientierte Kriseninterven-tion und –nachsorge zu betreiben.

Unter dieser Fragestellung wird im Folgenden zunächst ein kurzer Abriss die bisherigen entscheidenden Beschlüsse und Maßnahmen der Union bei der Entwicklung der GASP darstellen.

Anschließend wird eine Analyse der „Europäischen Sicherheitsstrategie“ der Fragestellung nachgehen, welches die außen- und sicherheitspolitischen Ziel-stellungen der Union sind, von welchen normativen Orientierungen und proklamierten Grundwerten diese Zielstellungen und das Handeln der Union beeinflusst werden, welche demokratischen Legitimationen ihnen zugrunde liegen und wie sich die EU-internen Entscheidungsabläufe gestalten und entwickeln.

Unter denselben Fragestellungen wird im vierten Abschnitt ein Blick auf den „Entwurf des Vertrags über eine Verfassung für Europa“ und die damit ver-bundenen Neuerungen und Weiterungen für die GASP geworfen. Dessen bal-dige Annahme wird durch die jüngst erfolgten Positionswechsel Spaniens und Polens im Verfassungsstreit immer wahrscheinlicher. Die hier behandelten inhaltlichen Bereiche werden jedoch aller Voraussicht nach in diesem Prozess keiner Veränderung mehr unterzogen.

Das fünfte und das sechste Kapitel stellen die bereits entwickelten außen- und sicherheitspolitischen Institutionen und Instrumentarien der Union vor. Dabei werden ihre Mechanismen und Wirkungsweisen nach innen und außen unter-sucht.

Die jeden Abschnitt abschließenden kritischen Würdigungen werden in einem die Arbeit abschließenden Fazit gebündelt. Bei dem Versuch, die Aus-gangsfrage zu beantworten, werden in geeigneter Form Schlussfolgerungen für linke Politik vorgestellt.

Auch wenn außenpolitisches Handeln der Union nicht auf die GASP beschränkt ist und nicht nur in ihrem Rahmen stattfindet, sondern ebenso die Gemeinsame Handelspolitik, die Entwicklungszusammenarbeit, die Zusam-menarbeit mit Drittländern und die Humanitäre Hilfe umfasst, ist die GASP Hauptgegenstand der Untersuchung, weil sie der entscheidende Bereich für die neue Qualität des außenpolitischen Selbstverständnisses und Agierens der Union und somit zur Beantwortung der Fragestellung ist.

Insgesamt liegt der Schwerpunkt der vorliegenden Studie auf der Analyse der Europäischen Sicherheitsstrategie und der Mechanismen zum Konfliktman-agement. Bei letzterem steht die zivile Seite im Mittelpunkt des Interesses. Die Gesamtuntersuchung befasst sich mit Prozessen, die eine hohe Dynamik auf-weisen, und kann von daher nur entsprechend limitiert prognostische Aus-sagen treffen.