Gabi Zimmer: Rede zum Lissabon-Prozess, Plenardebatte Strasbourg, 17. November 2004

Debatte über Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Tagungen des Europäischen Rates (Brüssel 4./5.November 2004)

Herr Präsident, auch ich wundere mich, dass die Lissabon-Strategie hier heute als alternativlos vorgestellt wurde.
Meine Fraktion kritisiert die bisherige Lissabon-Strategie nicht deshalb, weil sie auf mehr und bessere Arbeitsplätze, Vollbeschäftigung, soziale Kohäsion und Nachhaltigkeit orientiert. Wir kritisieren sie vor allem, weil sie die globale Konkurrenz weiter anpeitscht.
Globale Konkurrenz, Globalisierung bedeuten immer und zuerst Zuspitzung der globalen Probleme.

Die Ratstagung von Brüssel und die Tagungen der letzten Wochen unter niederländischer Ratspräsidentschaft signalisieren nun: Die Schaffung sinnvoller, existenzsichernder Arbeitsplätze, die Stärkung sozialer Kohäsion und Vernunft im Umgang mit der Natur werden zugunsten der Konkurrenzfähigkeit von Konzernen, EU-europäischen Global Player weiter marginalisiert.

Anstatt die politischen Prioritäten verantwortungsvoll für soziale, ökologische und globale Nachhaltigkeit zu korrigieren und dementsprechende Vorschläge für den Rat im Frühjahr 2005 vorzubereiten, tönt es aus Brüssel:
1) „Europas“ Konkurrenzfähigkeit ist zu stärken,
2) die Dynamik der Arbeitsmärkte muss erhöht werden,
3) die sozialen Sicherungssysteme sind den Herausforderungen von Konkurrenzfähigkeit und demographischem Wandel anzupassen.

So werden aber dringliche gesellschaftliche Probleme weder gemildert noch gelöst, im Gegenteil!

Auch der während der Tagung vorgestellte neue Wim Kok Bericht geht an den Lissabonner und Göteborger Festlegungen bezüglich Überwindung von Armut und sozialer Ausgrenzung vorbei.
Er hilft nicht, aber auch gar nicht, eine zeitgemäße und zukunftsorientierte Beschäftigungs- und Sozialpolitik zu entwickeln.

Ich teile im Grundsatz die Einschätzung des Europäischen Netzwerkes gegen Armut und bin gerne bereit, dessen Vorschläge für eine Sozialpolitische Agenda 2006-2010 zu diskutieren.

Mit dem Blick auf die im Januar durch die Kommission vorzulegenden Vorschläge zur Umsetzung der Lissabon-Strategie und den im Frühjahr stattfindenden Gipfel, der eine Halbzeitbewertung der Lissaboner Strategie vornehmen wird, fordere ich Kommission, Europäischen Rat und Mitgliedsländer zu einer Korrektur ihrer politischen Prioritäten auf:
Der Kampf gegen Armut und Ausgrenzung, die Schaffung existenzsichernder Arbeitsplätze, gerade auch für junge Menschen, die Stärkung sozialer Kohäsion und Nachhaltigkeit muss tatsächlich die gesamte Strategie für eine zukunftsfähige, soziale und ökologische EU durchziehen!