Interview mit Sylvia-Yvonne Kaufmann: Fragwürdig – Bereicherung in Brüssel? in Neues Deutschland, 20./21.03.2004

Abgeordnete des Europaparlaments stehen in Verdacht, sich zu bereichern. Ist dieser Vorwurf berechtigt?

Ich bin ganz entschieden dafür, dass die Öffentlichkeit den Europaabgeordneten stärker auf die Finger schaut. Wenn es illegale Machenschaften von Europaabgeordneten in finanziellen Angelegenheiten gibt, müssen diese aufgeklärt werden. Die Bürger haben ein Recht darauf zu erfahren, wie mit öffentlichen Geldern umgegangen wird. Aber ich wehre mich gegen einen Generalverdacht. Es müssen Ross und Reiter genannt werden.

Gab es Kontrollen, um zu verhindern, dass sich Abgeordnete das Tagegeld in Höhe von 252 Euro ergaunern? Es heißt, dass sich Strohmänner in die Liste eingetragen haben sollen.

Der Raum ist nicht videoüberwacht. Neben der zentralen Unterschriftenliste in Brüssel steht auch kein Kontrolleur. Ich gehe aber davon aus, dass sich nur Abgeordnete eintragen. Eine Urkundenfälschung ist selbstverständlich zu ahnden.

Reicht die körperliche Anwesenheit im Parlamentsgebäude für Tagegeld? Ein Termin könnte ja auch mal ausfallen?

Das Europäische Parlament hat offizielle Sitzungstage. Wenn ein Abgeordneter in Brüssel ist, muss er seine Anwesenheit nachweisen – in Sitzungslisten oder der zentralen Anwesenheitsliste. Das ist wichtig, weil die Abgeordneten natürlich nicht nur von früh bis spät in Sitzungen sind, sondern auch mit Gästen reden.

Monatlich wird Abgeordneten eine Sekretariatszulage in Höhe von 12 500 Euro gezahlt. Diverse Parlamentarier begünstigen Familienmitglieder. Öffnet das der Mauschelei nicht Tür und Tor?

Die Sekretariatszulage erhalten die Abgeordneten, um Mitarbeiter einstellen und bezahlen zu können. Dafür gibt es klare Regeln. Es müssen rechtskräftige Arbeitsverträge vorliegen. Im Europäischen Parlament gibt es jedoch keine Verbotsklausel, dass Eheleute als Mitarbeiter beschäftigt werden können. Wenn ein Abgeordneter dies getan hat, dann ist das seine Entscheidung. Ob die moralisch und politisch vor den Wählern zu rechtfertigen ist, muss der Betroffene selbst entscheiden.

Billigflieger machen es möglich: Parlamentarier können viel höhere Reisekosten abrechnen, als sie in Wahrheit bezahlt haben. Stört Sie das?

Die Reisekostenregelung ist problematisch. Die PDS-Abgeordneten und ihre Kollegen aus der Linken Fraktion fordern schon lange eine Reisekostenregelung nach tatsächlichen Kosten. Eine Pauschalzahlung wäre dann nicht mehr möglich.

Müssten nicht auch die Diäten der Abgeordneten angeglichen werden?

In der Tat. Die Abgeordneten werden höchst unterschiedlich bezahlt. Die Spanne reicht von 2500 Euro im Monat bei spanischen Kollegen bis zu 11 000 Euro bei italienischen. Das hat damit zu tun, dass es bis jetzt kein so genanntes Abgeordnetenstatut gibt. Das wird vom Europäischen Parlament seit Jahren gefordert. Eine Einigung der Regierungen ist bisher aber nicht zustande gekommen.

Im Juni stehen die Europawahlen an. Drücken diese Negativmeldungen die Wahlbeteiligung?

Ich hoffe nicht. Wenn die Bürger ein ziviles, demokratisches und soziales Europa wollen, dann ist es wichtig, dass die Linke so stark wie nur möglich vertreten ist.

Gespräch: Matthias Koch