Bedrohliche Pläne

Artikel im „Freitag“ vom 27.2.04

Der Zeitpunkt war gut gewählt: Unmittelbar vor der Münchener Sicherheitskonferenz Anfang Februar unterbreitete NATO-Generalsekretär De Hoop Scheffer den Verteidigungsministern der Allianz ganz offiziell seinen Vorschlag, die beiden derzeitigen militärischen Missionen in Afghanistan zusammen zu führen. Die knapp 6.000 Soldaten der internationale Schutztruppe ISAF (NATO) sollten künftig gemeinsam mit den etwa 10.000 GI’s der Operation Enduring Freedom (USA) Jagd auf mutmaßliche Terroristen machen und den „friedlichen Wiederaufbau“ des asiatischen Landes sichern. Obwohl insbesondere Berlin sofort mit der Formel „Synergien ohne Fusion“ (Bundeskanzler Schröder) bremste, bekam der Vorstoß des neuen NATO-Chefs die gewollte Öffentlichkeit.

In wessen Namen De Hoop Scheffer sprach, war klar. Ganz abgesehen davon, dass der Niederländer schon vor seiner Wahl auf den Spitzenposten des Nordatlantikpaktes zu Jahresbeginn als Favorit Washingtons galt, fordert Pentagon-Chef Donald Rumsfeld bereits seit Monaten ein verstärktes Engagement gerade der europäischen NATO-Mitglieder am Hindukusch. Wenn sich das „alte Europa“ (mit einigen Ausnahmen) schon nicht an der „Befriedung“ des Irak beteiligt, dann soll es wenigstens in Afghanistan einen größeren Beitrag als bislang leisten. Wenn sich die Europäer schon mehrheitlich gegen die militärische „Konfliktlösung“ im Mittleren Osten ausgesprochen haben, sollen sie zumindest in den Afghanistan-Feldzug eingebunden werden.

Nichts anderes wäre die Verknüpfung von ISAF und Enduring Freedom. Während sich die NATO-geführte Schutztruppe zumindest partiell einen nichtmilitärischen Anstrich gibt – wie bei der Dislozierung regionaler Wiederaufbauteams –, geht es bei dem US-Einsatz ausschließlich um die gewaltsame Bekämpfung verbliebener Taliban-Kämpfer und anderer mutmaßlicher oder tatsächlicher Gegner der USA und der neuen Macht in Kabul. Die „Erfolge“ der „Freiheits“-Mission sind bekannt: In den Südprovinzen reorganisieren sich die Taliban-Milizen, die Militäroperationen treffen häufig Zivilisten, die Zahl der Überfälle und Anschläge wächst beständig, die Partner der US-Truppen sind jene regionalen Warlords, denen tausendfache Menschenrechtsverletzungen, Morde, Dutzende lokale Überfälle, Drogen- und Waffenhandel nachgesagt und nachgewiesen wird..

Die Verknüpfung von ISAF und Enduring Freedom hätte vor allem vier Resultate: Eine weitere Militarisierung des Konflikts, die Gefährdung ziviler Helfer, die Verwicklung der internationalen Gemeinschaft (ISAF hat ein UN-Mandat) in die wuchernde Drogenproblematik und die Schwächung der ohnehin in ihrem Einfluss beschränkten Regierung von Hamid Karzai. Eine weitere Militarisierung, weil politische und zivilgesellschaftliche Lösungsansätze weiter in den Hintergrund gedrängt würden. Schon ist die Rede von einer Aufstockung der internationalen Truppen um bis zu 14.000 Mann. Die Gefährdung ziviler Helfer, weil deren Trennung vom Militäreinsatz durch „Schutzaktionen“ noch schwerer erkennbar wäre als heute schon. Erst am vergangenen Wochenende wurde der Zivilhubschrauber eines Wiederaufbauteams bewusst von Taliban abgeschossen. Die Verwicklung in die Drogenproblematik, weil inzwischen in Afghanistan eine Opiumwirtschaft droht, die vielfältig mit den Machtpositionen der regionalen und lokalen feldkommandeure und einiger Gouverneure, dem umsichgreifenden Opium-, Waffen- und Menschenhandel verknüpft ist und auf die von den USA (als Machtbasis ihrer verbündeten aus der Norallianz) faktisch geduldet wird. Eine Schwächung der Karzai-Regierung, weil damit deren Handlungsunfähigkeit bekräftigt und ihr die Initiative zum Ausbau staatlicher Strukturen und zur eigenständigen Politik aus der Hand genommen wird.

Nicht zuletzt hätte die Zusammenlegung Folgen für Europa: Auch in Afghanistan würde der Anspruch einer eigenständigen Außen- und Sicherheitspolitik der EU aufgegeben, selbst wenn im August das Eurocorps die ISAF-Führung übernehmen soll. Ein Oberkommandierender für die vereinte Militärmission ist schon im Gespräch: US-General James Jones.

Der Vorschlag des NATO-Generalsekretärs bedeutet nur eins: Die Unterordnung der internationalen Gemeinschaft, der UNO, unter die Politik der USA. Gerade im Vergleich zum Irak und dem dort praktizierten unilateralen Militarismus der USA als angeblicher und offenkundig gründlich scheiternder Problemlösung könnte Afghanistan mit der neuen Verfassung und demokratischen Wahlen, der Abrüstung der privaten Armeen und einem umfassenden wirtschaftlichen und sozialen Aufbauwerk ein Beweis dafür werden, dass auf der Grundlage des Völkerrechts, mit einer starken und solidarischen Rolle der UNO und eben vor allem demokratischer Entwicklung in Afghanistan selbst konstruktive Alternativen realisierbar sind. Das „Langzeitziel“ der USA in Afghanistan ist jedoch ein völlig anderes. Es wurde mir und anderen EU-Parlamentariern von General Vines, dem damaligen US-Kommandeur, bei einem Briefing am 13. Juni 2003 im Headquarter der „Coalition Forces“ in Baghram (nördlich von Kabul) in brutaler Offenheit definiert: „Ein Afghanistan, das keine Bedrohung für seine Nachbarn darstellt, langfristige Sicherheitsbeziehungen zu den USA garantiert und das Recht der Vereinigten Staaten anerkennt, jederzeit nach Afghanistan zurückzukehren, wenn diese Ziele gefährdet sind.“