Pyrrhussieg des EU-Parlaments? Abgeordnete zeigten Zähne, aber mehr Rechte bekommen sie nicht.
Das Europäische Parlament hat bei der Wahl der neuen Kommission gezeigt, dass es nicht länger gewillt ist, nur das abzunicken, was ihm die Mitgliedstaaten an Personal vorsetzen.
Erst im zweiten Anlauf brachte Kommissionspräsident Barroso seine Mannschaft im Europäischen Parlament durch. Zuvor musste er die umstrittenen Anwärter Buttiglione und Udre zum Verzicht bewegen und den Ungarn Kovacs auf ein anderes Ressort schieben. Wie schon einmal beim Rückzug der Kommission unter Jacques Santer hatte das Parlament Zähne gezeigt.
Die Medienkommentare waren sich denn auch einig, dass diese Kraftprobe Einfluss auf das Machtdreieck von Rat, Kommission und Europäischem Parlament haben werde. Und in der Tat: Auch wenn man nicht gleich – wie eine Tageszeitung – von einer »Straßburger Oktoberrevolution« sprechen mag, geht das Parlament gestärkt aus diesem Ringen hervor. Was liegt da für die selbstbewussten Parlamentarier näher, als jetzt nach Wegen zu suchen, wie dieser Geländegewinn durch Vertragsänderung dauerhaft gesichert werden kann.
Es ist nämlich der Rat, der mit qualifizierter Mehrheit sowohl den Präsidenten der Kommission ernennt als auch die Liste der Mitglieder der Kommission annimmt. Anschließend stellen sich der Präsident und die übrigen Mitglieder der Kommission als Kollegium lediglich einem Zustimmungsvotum des EU-Parlaments. Die Europaparlamentarier besitzen daher nur ein Recht zur Verweigerung. Die europäischen Sozialdemokraten verlangen daher nun, dass ein ablehnendes Votum des Parlaments zu einzelnen Kandidaten verbindlich sein müsse.
Doch auch nach der neuen EU-Verfassung, die 2007 in Kraft treten soll, würde es dabei bleiben, dass der Europäische Rat, also die Regierungschefs der Mitgliedstaaten, den Präsidenten der Kommission mit qualifizierter Mehrheit vorschlägt. Wie gehabt, darf das Parlament erst danach über ihn abstimmen. Im Verfassungstext wird dieser Vorgang zwar »Wahl« genannt, doch stellt die Abstimmung über nur einen einzigen Vorschlag bekanntlich eine Scheinwahl dar. Und was die übrigen Kommissionsmitglieder angeht, so sollen sie sich – wie heute – erst nach ihrer Auswahl als Gesamtkollegium durch den Rat dem Zustimmungsvotum des Europäischen Parlaments stellen. Keine Rede also von einer Einzelwahl der Kommissare.
Es war eine besondere Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet auf dem Höhepunkt des Machtkampfes zwischen Barroso und dem Parlament der Verfassungsvertrag feierlich in Rom unterzeichnet wurde. Dabei wurden viele Worte über die damit angeblich einhergehende Demokratisierung der Europäischen Union verloren. Nichts war aber darüber zu hören oder zu lesen, dass mit der Verfassung die Rechte des Europäischen Parlaments bei der so entscheidenden Bestimmung der Kommission um keinen einzigen Zentimeter erweitert werden.
Die Europaparlamentarier hätten aber jetzt allen Anlass, ihren gerade errungenen Erfolg in unverrückbare Vertragsbestimmungen gießen zu lassen. Das in der Verfassung vorgesehene Verfahren der Bestimmung der Kommission müssten sie als unzureichend zurückweisen, soll ihr jüngster Erfolg nicht als Pyrrhussieg enden.
Der Artikel erschien am 19.11.04 im Neuen Deutschland