Paralympics: Aufmerksamkeit für Spitzensport für Kampf gegen Diskriminierung Behinderter nützen! Rede von Gabi Zimmer auf der Konferenz: Europäische Linksparteien für die Integration behinderter Menschen, Athen am 24.09.2004

Die Paralympics in Athen sind eine hervorragende Gelegenheit, der Öffentlichkeit zu demonstrieren, welch außergewöhnliche sportliche Leistungen Menschen mit Behinderungen vollbringen können.

Noch zu den Paralympics in Atlanta gab es in Deutschland keine überregionale Berichterstattung in den öffentlich-rechtlichen Medien. Nur die 3.Programme informierten gelegentlich. Heute – während der Paralympics in Athen – sieht es ganz anders aus:
Mit ARD und ZDF sitzen die Zuschauer in Deutschland inzwischen auch bei diesem hochklassigen Sportereignis in der ersten Reihe. Ausführlich wird über die Leistungen behinderter Sportlerinnen und Sportler berichtet und Bewunderung für Engagement und Leidenschaftlichkeit Athletinnen und Athleten gezeigt.

Fast alle überregionalen Tageszeitungen porträtieren Spitzensportlerinnen – und sportler. Wie zum Beispiel Marianne Bugenhagen aus Potsdam, die hier in Athen bereits ihre achte Goldmedaille in der Leichtathletik holte. Oder die blinde im Rollstuhl sitzende Leichtathletin Martina Willing, die bei ihren fünften Spielen nach olympischem Edelmetall greift. Auch die Eröffnung und der Abschluss der Paralympics von Athen sind den Programmgestaltern von ARD und ZDF inzwischen so wichtig, dass diese Veranstaltungen in Deutschland live mitverfolgt werden können.

Zu verdanken ist diese Trendwende in der öffentlichen Aufmerksamkeit in erster Linie den Sportlerinnen und Sportlern, ihrem Verband, dem Behindertensportverband Deutschland, und den Akteuren der Behindertenbewegungen. Sie selbst haben sich öffentlich zu Wort gemeldet, sich Verbündete gesucht und zum Teil als Betroffene parlamentarische Debatten in den Landtagen und im Deutschen Bundestag angeschoben. Zum Beispiel Detlef Eckert, der als ehemaliger behinderter Leistungssportler als Mitglied der PDS-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt vehement für die Verabschiedung einer Landesbauordnung gekämpft hat, nach der in diesem Bundesland Sportstätten nur dann öffentlich gefördert werden, wenn sie den barrierefreien Zugang für Rollstuhlfahrer, Blinde und Gehörlose sichern.

Noch sind solche Verordnungen nicht selbstverständlich. Die PDS und Grüne scheiterten im Bundestag beispielsweise bei dem Versuch, in die Musterbauordnung die „Barrierefreiheit“ aufnehmen zu lassen. Gleichstellungsgesetze und Antidiskriminierungsgesetze sind in Deutschland politisch hart umkämpft.

In den letzten 14 Jahren hat sich im Behindertensport einiges getan: Gemeinsam empfangen inzwischen Bundeskanzler und Bundespräsident nach den Spielen die Olympia- und die Paralympicmannschaften. Seit 1994 werden behinderte Spitzensportler zur Sportgala der ARD eingeladen, erhalten die Paralympicsieger ebenso wie die Olympiasieger das Silberne Lorbeerblatt als staatliche Auszeichnung. Die Teilnehmerinnen an den Paralympics werden ebenso wie die Olympiateilnehmer durch das Nationale Olympische Komitee ausgerüstet.
Auch finanziell wird der Behindertensport in diesem Olympiajahr zunehmend gleichgestellt. Es ist auch nicht mehr von den persönlichen Beziehungen der Betreuer und behinderten Aktiven abhängig, ob diese die Olympiastützpunkte mit all ihren Serviceleistungen nutzen dürfen oder nicht. Dies alles ist geregelt – im Interesse einer gezielten und langfristigen Vorbereitung auf die Spiele.

Die Leistungen der behinderten Spitzensportler gelten als außergewöhnlich. Auch wenn nach wie vor nicht alle Probleme ausgeräumt sind, wie die Diskussionen um die Einteilung und Klassifizierung der einzelnen Behinderungen in den Sportdisziplinen zeigen. In Anhörungen , öffentlichen Wortmeldungen weisen Sportler und Sportlerinnen immer wieder darauf hin, dass ähnlich wie beim Schwimmen auch in anderen Sportarten eine Klassifizierung nach funktionellen Schädigungen möglich sein sollte. Damit könnte auch die Unübersichtlichkeit bei einigen Wettbewerben überwunden werden.

Im öffentlichen Bewusstsein liegt der gewachsenen Akzeptanz für den Behinderten-Leistungssport jedoch noch nicht der Grundsatz zugrunde, dass jede Form von gesellschaftlicher Aktivität auch Menschen mit Behinderungen offen stehen muss.
Kultur, Bildung, Sport, Beschäftigung – jedem Menschen die gleichberechtigte Teilhabe unabhängig von Geschlecht, Rasse, Behinderung, sozialer Stellung zu ermöglichen, gehört zu den Grundforderungen demokratischer, emanzipativer, sozialistischer Bewegungen.
Die Forderung der Behindertenverbände, selbstbestimmter Initiativen und vieler Akteure, dass es sich hierbei nicht um Sonderrechte für Menschen mit Behinderungen handelt, sondern um Bürgerrechte, wird oft und gern überhört.

Umso wichtiger ist es, dass die mühsam erreichte positive Wandlung für den Leistungssport behinderter Menschen auch die Entwicklung des Breitensports und aller anderen Lebensbereiche beeinflusst. Zuviel bleibt bisher einzelnen Initiativen und Projekten überlassen, bleibt im Bereich des privaten Sponsorings und soll bloß nicht zum individuell einklagbaren, gesetzlich geregelten Anspruch erhoben werden.
Solange sich an dieser Grundhaltung herrschender Politik, an diesem Menschenbild nichts grundlegend ändert, bleibt es Aufgabe linker, demokratischer Bewegungen und Parteien, gemeinsam mit den Interessenverbänden, mit den Betroffenen dafür einzutreten, jegliche Form von Benachteiligungen und Diskriminierungen behinderter Menschen zu beseitigen.
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