Karten neu gemischt

Brüsseler Spitzen

Neues Spiel, neues Glück. Zu Beginn jeder Legislaturperiode werden die Karten im Europäischen Parlament neu gemischt: Fraktionen konstituieren sich, Ausschüsse werden neu zugeschnitten, Posten verteilt. Da muss in der Regel die politische Arbeit zurückstehen. Die Konföderale Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) hat es dennoch geschafft, inmitten all dieser Prozeduren das politische Tagesgeschäft wieder aufzunehmen. Gleich zu Beginn haben wir französische Gewerkschafter von Ronal empfangen, deren Werk vor der Schließung steht, weil die Produktion nach Polen und Tschechien verlagert wird. In der kommenden Woche werden Vertreter des Eurobetriebsrates von Bombardier nach Straßburg kommen, um mit der Fraktion über eine Zusammenarbeit zu diskutieren. Am Wochenende wird eine kleine Gruppe unserer Fraktion, darunter Tobias Pflüger, die Flüchtlinge und die inhaftierten Mitarbeiter von Cap Anamur besuchen.
Auch das traditionell starke außenpolitische Engagement der Fraktion ist nicht abgerissen. André Brie reiste nach den Europawahlen erneut nach Irak. Unsere italienische Kollegin Luisa Morgantini war in Kaschmir, eine Delegation unserer Fraktion befindet sich gegenwärtig in Managua beim Treffen des Foro São Paolo – für die PDS ist Sahra Wagenknecht dabei.
Die neue Linksfraktion besteht aus 41 Abgeordneten, die 17 politische Formationen aus 13 Staaten vertreten. Neu dabei sind die KP Böhmens und Mährens, die zyprische AKEL, der portugiesische Linksblock, die KP aus Réunion und Sinn Féin aus Irland und Nordirland. Alter und neuer Fraktionsvorsitzender ist Francis Wurtz, neue Stellvertreter/innen sind Eva-Britt Svensson von der schwedischen Linkspartei, Ilda Figuereido von der portugiesischen KP, Miloslav Ransdorf von der KP Böhmens und Mährens und Kartika Liotard von der niederländischen SP.
Auf den ersten Fraktionssitzungen wurde bereits die politische Schwerpunktsetzung für die kommende Legislaturperiode bestätigt. Im Zentrum stehen der Kampf für ein soziales Europa, der Einsatz für den Erhalt der öffentlichen Daseinsvorsorge als Gegenmodell zum EU-Marktradikalismus und das Engagement für ein friedliches, der Abrüstung verpflichtetes Europa, das der Logik von Auslandseinsätzen und dem in der EU-Verfassung verankerten Aufrüstungsgebot eine Absage erteilt.
Dass die Linksfraktion damit als einzige Fraktion geschlossen dem neoliberalen und militaristischen Mainstream in der EU-Politik entgegentritt, hat am Dienstag auch die Anhörung mit dem Anwärter auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten José Barroso bewiesen. Trotz Barrosos Bemühen, strittige Punkte wie den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt differenzierter zu diskutieren, blieb er bei Antworten auf unbequeme Fragen nebulös. Deutlich zeigte sich, dass die Vorstellungen des designierten Kommissionschefs und die unserer Fraktion in zentralen Fragen weit auseinander gehen. Das betrifft die Bewertung der Ergebnisse des Irak-Krieges (O-Ton Barroso: »In Irak herrscht jetzt Meinungsfreiheit, auch die KP Iraks darf sich wieder frei äußern.«) ebenso wie seine Haltung zum Stabilitätspakt oder die Bewertung der EU-Verfassung, die unsere Fraktion entschieden ablehnt.
Die kommende Woche in Straßburg, in der sich das Europäische Parlament am 20. Juli endgültig konstituiert und zwei Tage später über Barroso abstimmt, verspricht spannend zu werden.

Quelle:
Neues Deutschland, 16.07.04