Leyla Zana – Sacharow-Preisträgerin des Europäischen Parlaments weiter in Haft
16. Januar 2004, Gerichtssaal in Ankara: Der zehnte Verhandlungstag des Wiederaufnahmeverfahrens gegen Leyla Zana und ihre drei mit angeklagten kurdischen ehemaligen Abgeordneten des türkischen Parlaments ist vorbei. Unter den BeobachterInnen des Prozesses macht sich Unmut und Enttäuschung breit. Wie die vorherigen neun hat auch dieser Verhandlungstag keine Veränderung der Situation gebracht: Dem Antrag der Verteidiger auf Freilassung der Angeklagten wurde auch diesmal vom Gericht nicht statt gegeben. Leyla Zana bleibt weiterhin in Haft.
Seit nun schon fast einem Jahr zieht sich die Neuverhandlung des Prozesses gegen Leyla Zana und die mit ihr angeklagten Hatip Dicle, Orhan Dogan und Selim Sadak nun schon hin. Leyla Zanas Vergehen? Sie hatte es gewagt, im Jahr 1991 nach ihrer Wahl als erste weibliche kurdische Abgeordnete im türkischen Parlament einen Satz auf Kurdisch zu sagen. Dies wurde ihr als Unterstützung der PKK ausgelegt und brachte ihr eine Strafe von 15 Jahren Gefängnis ein – gefordert worden war sogar die Todesstrafe. Alle internationalen Proteste und auch das 2001 erfolgte Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs, in dem das Verfahren als unfair eingestuft worden war, haben bisher nicht zu ihrer Freilassung geführt.
Als jedoch eine Revision des Verfahrens zugelassen und im vergangenen Jahr die Wiederaufnahme des Prozesses anberaumt wurde, schien sich das Blatt zu wenden. Möglich geworden war die Neuaufnahme des Verfahrens durch den Reformprozess, den die Türkei im Rahmen ihrer Bemühungen um einen EU-Beitritt begonnen hatte. Allein die Tatsache, dass der Prozess neu aufgerollt werden konnte, war ein absolutes Novum für die Türkei und gab Grund zu großer Hoffnung. Entsprechend hoch waren die Erwartungen, mit denen der Prozessauftakt am 28. März 2003 begleitet wurde. Schließlich besagt die neue Rechtsgrundlage, dass Kurdisch im Gegensatz zu früher in der Türkei nun nicht mehr verboten ist. Es wurde als nicht unwahrscheinlich angesehen, dass Leyla Zana und ihre Mitangeklagten bereits am ersten Verhandlungstag freigelassen werden würden. Diese Erwartung zerschlug sich jedoch ebenso schnell wie die Hoffnung auf ein rasches Prozessende. Seit nunmehr 10 Monaten dümpeln die Verhandlungen vor sich hin. Alle Anträge auf vorläufige Freilassung der Angeklagten sind bislang abgelehnt worden. Und auch sonst sind die Änderungen im Prozess vor allem kosmetischer Natur. Zwar steht Leyla Zana jetzt im Gegensatz zu 1994 keinem Militärrichter mehr gegenüber. Davon jedoch auf ein faires Verfahren zu schließen, wäre verfehlt. Behinderungen der Verteidigung sind auch diesmal an der Tagesordnung. Auch die Neuaufnahme des Prozesses kommt einer Farce gleich.
Dennoch bestand im Vorfeld des zehnten Verhandlungstages im Januar ein neuer Hoffnungsschimmer, dass sich nun endlich eine Änderung im Prozessverlauf ergeben würde. Schließlich hatte Kommissionspräsident Prodi seinen Besuch in der Türkei absichtsvoll gerade auf den Termin der Verhandlung gelegt. Mit Lob angesichts des Reformprozesses, in dem sich die Türkei befindet, hatte im Vorfeld seines Besuchs weder er noch Erweiterungskommissar Günter Verheugen gegeizt. Gerade erst war der neue Kommissionsbericht über die Fortschritte der Türkei in Hinblick auf einen EU-Beitritt veröffentlicht worden, in dem zwar auch Kritisches stand, der positive Tenor allerdings deutlich überwog. Und im Europäischen Parlament stand Ende Januar die Preisverleihung des Sacharow-Preises an, zu der das Europäische Parlament auch Leyla Zana einladen wollte. Schließlich gehört sie ebenfalls zu den Trägerinnen des renommierten Preises – er war ihr bereits 1995 verliehen worden, sie hatte ihn aber bisher aufgrund ihrer fortgesetzten Inhaftierung nicht in Empfang nehmen können. Nun sollte eine Delegation des Europäischen Parlaments, das den neuen Prozess von Anfang an aufmerksam verfolgt – meine Fraktion der Vereinten Linken hat zusätzlich zu den Prozessterminen mich und meinen Kollegen Luigi Vinci als Beobachter entsandt -, Leyla Zana am 10. Verhandlungstag die Einladung zur Preisverleihung überreichen. Angesichts dieses europäischen Engagements und vor dem Hintergrund der vehementen Bemühungen der Türkei um einen EU-Beitritt wurde allgemein vermutet, dass die türkische Justiz nun als ein Zeichen des goodwill endlich eine Freilassung der ehemaligen Abgeordneten anordnen würde.
Jedoch – weit gefehlt. Auch die zehnte Verhandlung verlief nicht anders als die vorherigen. Ganz offensichtlich unbeeindruckt von den europäischen Bemühungen lehnte das Gericht den Antrag auf Freilassung der Angeklagten ab und vertagte die Verhandlung erneut. Deutlicher hätte die türkische Justiz nicht zeigen können, wie gleichgültig ihr Europa und das Recht auf freie Meinungsäußerung sind. Sogar Romano Prodi, nicht gerade bekannt für deutliche Kritik, konnte angesichts dieses offenen Affronts seine Bestürzung nicht verhehlen. Bleibt abzuwarten, ob dies tatsächlich ein Anfangspunkt für eine kritischere Haltung der EU-Kommission zur Türkei ist, oder ob bald wieder der übliche positive Tonfall einsetzt, der den Reformprozess in der Türkei vor allem an den Reformen auf dem Papier – nicht aber an der Realität bewertet. Welchen Unterschied dies macht, wissen Leyla Zana und ihre Mitangeklagten nach fast zehn Jahren im Gefängnis nur allzu gut.