Die Haltung zu Europa ist für die sozialistische Linke eine strategische Frage
Anlässlich des Wiedereinzugs der PDS ins Europäische Parlament erklärt die Europaabgeordnete und PDS-Spitzenkandidatin Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann:
Unsere Botschaft „Für ein soziales, demokratisches und friedliches Europa!“ ist bei den Wählerinnen und Wählern angekommen. Gestärkt ziehen wir wieder ins Europäische Parlament ein. Zugleich meldet sich die PDS als Bundespartei zurück. Unser Wahlergebnis beweist, dass die Menschen in Deutschland eine linke sozialistische Partei wollen. Das ist die eigentliche politische Botschaft dieser Wahlen. Zu verdanken ist das Wahlergebnis vor allem jenen Genossinnen und Genossen, die mit großem Optimismus und einem herausragenden persönlichen Einsatz einen schwierigen Wahlkampf geführt haben. Ihnen allen möchte ich sehr herzlich danken.
Die PDS muss nun nach vorn blicken und sich im Rahmen der begonnenen Strategiedebatte der Frage zuwenden, ob sie ihr Profil als proeuropäische linkssozialistische Partei schärfen will oder ob sie sich hin zu einer Anti-EU-Partei entwickelt. Der Lackmustest dafür wird sein, welche Haltung die PDS zum Europäischen Verfassungsvertrag, der voraussichtlich auf dem EU-Gipfeltreffen am 17./18. Juni in Brüssel verabschiedet wird, einnimmt.
Ich rufe deshalb die Partei auf, sich mit dem dann vorliegenden Verfassungstext gründlich vertraut zu machen und darüber umgehend eine fundierte Debatte zu beginnen – und zwar im Unterschied zur bisherigen Diskussion frei von parteiinternen Personalquerelen, Diffamierungen und ohne linkssektiererische Totschlagsargumente. Es muss in der Partei möglich sein, den Verfassungstext konkret mit der bestehenden EU-Vertragslage zu vergleichen, um ihn allseitig und sachlich begründet auszuloten. Dabei ist absolut unstrittig, dass die PDS, wie bisher, jene Bestimmungen entschieden ablehnt, die die Entwicklung der EU hin zu einer Militärmacht befördern.
Die PDS wird zu berücksichtigen haben, dass mit der Europäischen Verfassung eine Neugründung der Europäischen Union verbunden ist. Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass nationalistische Kräfte EU-weit erheblich an Terrain gewonnen haben, muss sich die Partei nun entscheiden, ob sie die im Verfassungsvertrag enthaltenen deutlichen Fortschritte in Richtung von mehr Demokratie, gestärkten Bürgerrechten sowie in sozialer Hinsicht unterstützt oder ob sie sich in der Tradition der KPD bewegt, die das Grundgesetz ablehnte und sich damit ins gesellschaftliche Aus katapultierte. Das ist eine strategische Frage für die Zukunft der PDS.
Ich bin überzeugt, dass viele Menschen in unserem Land eine andere Politik in Europa wollen – eine Politik, die sich dem Neoliberalismus entgegenstellt, vor allem die Massenarbeitslosigkeit bekämpft, und welt-weit auf zivile Konfliktlösung setzt. Für eine solche Politik wird sich die PDS im Europäischen Parlament entschlossen engagieren. Sie muss darauf orientieren, gezielt in die aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit konkreten politischen Alternativen einzugreifen, damit eine solche Politik in Europa möglich wird.
Berlin, den 14. Juni 2004