Neoliberaler Stabilitätspakt braucht soziale Reform und nicht Verfassungsrang

Zum erneuten Überschreiten des im Stabilitätspakt festgelegten Defizitkriteriums von drei Prozent des BIP durch die Bundesrepublik Deutschland erklärt Sahra Wagenknecht, PDS-Europaabgeordnete:

Deutlicher hätte nicht demonstriert werden können, wie dringlich eine radikale soziale Reform des so genannten Stabilitäts- und Wachstumspakts ist: Deutschland hat erneut die auf 3 Prozent des BIP festgelegte Defizitgrenze verfehlt. Im ersten Halbjahr 2004 stieg die Quote nach Angaben des Statistischen Bundesamts sogar auf 4,0 Prozent. Dieses Ergebnis zeigt unmissverständlich, dass auch massive Einschnitte in das soziale Netz, wie sie durch die rot-grüne Bundesregierung nicht erst seit Hartz IV rücksichtslos betrieben werden, um „den Haushalt zu sanieren“, mitnichten Erfolg haben.

Jetzt am Stabilitätspakt weiter festzuhalten, würde noch mehr und noch schärferen Sozialabbau bedeuten – in Deutschland, aber auch in den anderen EU-Mitgliedstaaten. Zugleich würde der Konjunkturmotor Binnennachfrage durch die sozialen Kaputtsparprogramme drohen völlig abgewürgt zu werden. Die Konsequenz wären eine noch höhere Verschuldungsraten sowie immer größere antisoziale Angriffe auf Beschäftigte, Arbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen. Dieser scheinbar unentrinnbare Teufelskreis muss endlich ein Ende haben.

Notwendig ist jetzt eine umfassende soziale Reform des Pakts. Es bedarf einer neuen Berechnungsgrundlage des Defizitkriteriums, die öffentliche Investitionen ausklammert und die Binnennachfrage ankurbelt. Nur so wird nachhaltiges Wachstum und die umfassende Schaffung existenzsichernder Arbeitsplätze möglich werden. Dringend nötig ist auch eine Harmonisierung der Unternehmenssteuern innerhalb der EU sowie eine Rücknahme der Steuergeschenke, die die Regierung Schröder den Unternehmen in den letzten Jahren hat zukommen lassen. Die einseitige Verpflichtung europäischer Wirtschafts- und Währungspolitik auf „Preisstabilität“ sowie die unsägliche EU-Steuerpolitik führen in die wirtschaftspolitische Sackgasse.

Umso fataler sind die entsprechenden Bestimmungen im EU-Verfassungsvertrag, der am 29. Oktober 2004 unterzeichnet werden soll. Hier soll der neoliberale Stabilitätspakt festgeschrieben werden. Beschäftigungspolitik wird den „Grundzügen der Wirtschaftspolitik“ untergeordnet (III-206, 179), die wiederum geprägt sind durch die einseitige Orientierung auf das „vorrangige“ Ziel der „Preisstabilität“ (I-30, III-177, 185) und durch den in Verfassungsrang erhobenen Stabilitätspakt (III-184). Dieser antisoziale EU-Verfassungsvertrag darf nicht in Kraft treten, will man nicht die europäischen Ökonomien nachhaltig zugrunde richten.

Sahra Wagenknecht, MdEP
Brüssel/Berlin, den 24. August 2004