Soziale Reformierung des Stabilitätspakts ist erforderlich

Zu den Vorschlägen der EU-Kommission zur Flexibilisierung des Stabilitäts- und Wachstumspakts erklärt die PDS-Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments:

Die Reformierung des Stabilitätspaktes ist überfällig, weil er eingestandenermaßen wirtschaftliche Stabilität und Beschäftigung nicht fördert. Der Pakt folgt einzig dem Primat von Preis- und Währungsstabilität. Durch die starre Begrenzung der Neuverschuldung auf das Maastrichter Drei-Prozent-Kriterium wirkt der Pakt prozyklisch, indem er in einer Wirtschaftsflaute den konjunkturellen Abschwung noch verschärft. Dieser Kardinalfehler soll nun durch einige „technische“ Veränderungen entschärft werden. Dazu gehören eine mehr länderspezifisch ausgerichtete Berücksichtigung der Umstände bei der Definition des mittelfristigen Ziels eines „nahezu ausgeglichenen Haushalts“, die stärkere Beachtung der Gesamtverschuldung eines Landes, die Orientierung auf Schuldenabbau in wirtschaftlichen Boomphasen, um in Abschwungphasen ein Gegensteuern zu ermöglichen, die verstärkte Anwendung der Frühwarnung (Blauer Brief) anstatt mit Sanktionen gegen Defizitsünder zu drohen u.a.m.

Diese Vorschläge der Kommission sollte der Ministerrat eigentlich relativ leicht übernehmen können, zumal der Stabilitätspakt nicht Bestandteil des Verfassungsvertrags ist. Zweifellos zielen die Kommissionsvorschläge (wie auch der von der Euro-Gruppe der Finanzminister unternommene Vorstoß zur Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen von Unternehmenssteuern) in die richtige Richtung, sie reichen aber bei weitem nicht aus, ganz abgesehen davon, dass sie im Hinblick auf den praktizierten Umgang mit dem Stabilitätspakt bereits mehr oder weniger gängige Realität sind.

Notwendig ist vielmehr ein sozial orientierter Stabilitätspakt, der der Tatsache Rechnung trägt, dass es einen engen Zusammenhang zwischen dem wirtschaftlichen Entwicklungsniveau und seiner Sozialleistungsquote gibt. Er könnte verhindern, dass Mitgliedstaaten sich durch Sozialabbau und Sozialdumping Kosten- und Wettbewerbsvorteile im EU-Binnenmarkt verschaffen. Im Rahmen eines derartigen Stabilitätspakts würden zunächst die Sozialleistungsquoten der 25 Mitgliedstaaten erfasst und jeweils Länder mit ähnlicher Sozialleistungsquote in einer Gruppe („Korridor“) zusammengefasst. Eine Abweichung vom Ausgangswert nach unten hätte für die betroffenen Länder Konsultationsverfahren und gegebenenfalls Sanktionen zur Folge. Abweichungen nach oben wären möglich und würden ein Anheben des Korridors bewirken. Auf diese Weise würde die soziale an die wirtschaftliche Entwicklung gekoppelt und Sozialdumping verhindert.

Straßburg, den 15. September 2004