André Brie: Demokratisches Staatswesen in Irak entwickeln

Europaabgeordneter warnt vor Versuchen einer militärischen „Lösung“ des andauernden Konflikts

Das Fehlen einer nachhaltigen Strategie für Demokratisierung und Wiederaufbau ist nach Ansicht des PDS-Europaabgeordneten André Brie eine der Hauptursachen für die anhaltende Gewalt in Irak. Vor Journalisten erklärte der Politiker am Dienstag in Straßburg, es liege nach wie vor kein tragfähiges Konzept für die Nachkriegsentwicklung des Landes vor. „Tatsächliche Anstrengungen zur Entwicklung einer Zivilgesellschaft sind nicht erkennbar“, so der Abgeordnete. Die von Interimspräsident Ghasi al Jawar während seiner gegenwärtigen Europa-Reise wiederholt geforderte finanzielle Unterstützung dürfe nicht nur zur Sanierung der Ölindustrie genutzt werden, die insbesondere im Interesse von US-Firmen liege. Sie sei vor allem für die humanitäre Hilfe für die irakische Bevölkerung erforderlich. Daneben müsse vor allem in den Aufbau eines demokratischen Staatswesens investiert werden. „Die Ablehnung der Übergangsregierung in breiten Bevölkerungskreisen geht wesentlich darauf zurück, dass das Kabinett in Bagdad als Interessenvertreter Washingtons gesehen wird, dass Entscheidungen nicht transparent und nachvollziehbar sind und dass praktisch keine nationalen Kontrollinstanzen für die Regierung existieren.“

Brie kritisierte, dass der Rat und die EU-Kommission finanzielle Mittel für den Irak bereitstellten, ohne dass die Regierungen zur Erhöhung des EU-Haushaltes bereit seien. Damit würden andere humanitäre und außenpolitische Verpflichtungen der EU gefährdet. Brie kündigte an, dass die Europäische Linke und die PDS sich an einer Konsensresolution der anderen Fraktionen im Europäischen Parlament nicht beteiligen und gegen sie stimmen werde, da in ihr weder die Aggression gegen den Irak noch die Ursachen für die gegenwärtige Verschärfung der Situation durch die Besatzungsmächte angesprochen werde. Eine ursachenorientierte Politik zur Bekämpfung von Diktaturen und Terrorismus sei auf diese Weise nicht möglich.

Ein Ende der Kämpfe bis Anfang kommenden Jahres hält Brie für unwahrscheinlich. US-Außenminister Colin Powell hatte am Wochenende in einem Interview entsprechende Erwartungen geäußert. Brie stellte fest: „Derzeit muss im Gegenteil davon ausgegangen werden, dass die Besatzungsmächte die Kontrolle über wichtige Teile des Irak verloren haben und gleichzeitig extremistische und fundamentalistische Kräfte im Vormarsch sind. Mit militärischen Mitteln lassen sich weder Krisenherde befrieden noch der Terrorismus ausmerzen. Obwohl dies spätestens seit Afghanistan bekannt ist, werden die Fehler in Irak wiederholt.“ Auch der Ansatz, mit einem harten Durchgreifen der Besatzungstruppen „Sicherheit“ herzustellen und so die Durchführung von Wahlen zu ermöglichen, ist nach Bries Meinung fraglich: „Neben dem Misstrauen, das eine Wahl unter Gewehrläufen zwangsläufig hervorruft, kann man sich vorstellen, wie frei eine solche Abstimmung ist.“

Brie verwies in diesem Zusammenhang auch auf den Bericht von Kofi Annan an den UN-Sicherheitsrat. Ende vergangener Woche hatte der Generalsekretär der UNO gefordert, in Irak „entschiedene und wirkliche Anstrengungen“ zu unternehmen, um auf „politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Bedenken und Missstände mit friedlichen Mitteln zu reagieren“. Ausdrücklich unterstützte der PDS-Parlamentarier dabei die Forderung Annans nach einem schnellen Aufbau einer Schutztruppe für UN-Einrichtungen in Irak, die von den US-geführten Truppen unabhängig sein solle: „Die Trennung von Sicherheitskräften und Besatzungstruppen wäre ein wichtiges Signal für eine Normalisierung des Lebens in Irak.“