Zurückgezogener Kommissionsvorschlag bedeutet kein Ende neoliberaler EU-Politik
Zum Scheitern der designierten Barroso-Kommission und den Auswirkungen auf die EU-Politik erklärt Sahra Wagenknecht, PDS-Europaabgeordnete:
Das heutige Scheitern der Barroso-Kommission bedeutet mitnichten einen Kurswechsel in der EU. Die Tatsache, dass eine Kommission, die in entscheidenden Teilen von inkompetentem, mit Korruptionsvorwürfen und hochgradig befangenem Personal gestellt wurde, letztendlich aufgrund des parlamentarischen Drucks zurückgezogen werden musste, ist wahrlich noch kein Grund zum Aufatmen. Gescheitert ist ein Personaltableau, nicht das Projekt der Barroso-Kommission – nämlich marktgläubige neoliberale Politik in der EU voranzutreiben. Eine neue weniger plump zusammen gesetzte Kommission wird dieses zentrale EU-Projekt nur geschickter, da weniger angreifbar, durchsetzen.
Teil dieses Konzepts ist Gerhard Schröders im Handelsblatt vorgestelltes Sieben-Punkte-Programm für Wachstum und Beschäftigung, das er dem Europäischen Rat vorschlagen will. Dass dieses Projekt eines weiteren neoliberalen Ausverkaufs der EU auch unter einem veränderten Kommissionsteam vorangetrieben zu werden droht, steht fest. Schröders Wunschpalette reicht von einer vollständigen Liberalisierung der Energiemärkte über das Durchpeitschen der berüchtigten Bolkestein-Richtlinie zur Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes bis hin zur Konsolidierung der Rüstungsindustrie. Besonders großes Wachstumspotenzial sieht er im Dienstleistungsbereich. Dass es ihm hierbei nicht um die Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern ausschließlich um die Unternehmen geht, wird deutlich gesagt. Die Menschen in Europa werden von den „Sieben Chancen für den Binnenmarkt“ nicht profitieren – im Gegenteil.
Mit seinem Sieben-Punkte-Plan auf EU-Ebene unterstreicht Schröder die Ausrichtung, die auch seiner Politik auf Bundesebene zugrunde liegt: Ein neoliberales und unternehmensgläubiges Programm, das mit der Vorgabe, das europäische Sozialmodell sichern zu wollen, eben dieses rücksichtslos entsorgt. Sein Wiederbelebungsversuch der gescheiterten Lissabon-Strategie dient ihm hierbei als Vehikel, die Politik des Sozialabbaus weiter zu verfolgen und auf EU-Ebene die neoliberalen Pflöcke noch weiter einzuschlagen. Wenn auch die vorgesehene Kommission heute im Europäischen Parlament gescheitert ist – eine veränderte EU-Politik steht auch bei einem anderen Kommissionsvorschlag von Barroso nicht zu erwarten. Um eine tatsächliche Änderung zu erreichen, ist massiver Widerstand aus breiten Teilen der Gesellschaft notwendig.
Sahra Wagenknecht
Straßburg, den 27.10.2004