Allende lebt in uns … Welche Lehren Chiles Linke aus der Niederlage vor 30 Jahren ziehen

Hans Modrow

„Allende ist nicht tot – Allende lebt in uns“ – dieser Losung begegnete man in den Septembertagen in Santiago de Chile und anderen Städten des Andenlandes auf Schritt und Tritt. Auf vielfältige Weise gedachten die progressiven Kräfte des 30. Todestages des populären Präsidenten, der in seiner durch einen blutigen Putsch beendeten Amtszeit Zeichen gesetzt hatte, die weit über Chile hinaus wirkten und noch weiter wirken.
Dem Anlass war auch ein viertägiges internationales Seminar gewidmet, zu dem Stiftungen und namhafte Persönlichkeiten Gäste aus dem In- und Ausland in die Hauptstadt eingeladen hatten. Das Seminar wurde auf drei Ebenen durchgeführt. Im Kongressgebäude und an den Universitäten fanden wissenschaftliche Vorträge und Debatten statt, das Zentralstadion, das die Militärs vor 30 Jahren in ein KZ verwandelt hatten, erlebte eine bewegende Manifestation von über 60 000 Menschen, und schließlich diskutierten die Teilnehmer des Seminars in den neun Stadtteilen mit den Bürgerinnen und Bürgern über Erfahrungen und Lehren des kämpferischen Lebens von Salvador Allende. So wurde der Bogen geschlagen von der Geschichte bis zu den Konsequenzen für den heutigen Kampf.
Am letzten Tag des Seminars fand eine angeregte Debatte über „Die Volksbewegungen und die sozialistischen Perspektiven Lateinamerikas“ statt – ein Thema, das nicht nur für die Linken in Chile von Bedeutung ist. Hauptidee war die Analyse der sich in jüngster Zeit breit entfaltenden sozialen Bewegungen, ihrer Einflussmöglichkeiten und ihrer Grenzen. Ausgehend davon, dass es sich um parteiunabhängige Bewegungen handelt, wurden Möglichkeiten diskutiert, in welchem Maße und mit welchem Ziel linke Parteien oder Parteienbündnisse wie das Foro Sao Paulo mit diesen Bewegungen kooperieren können. Denn nur so, darin war man sich einig, können jene Gegenkräfte wachsen, die sich der neoliberalen Offensive und den imperialen Bestrebungen der USA entgegenzustellen vermögen. Was in Afghanistan und im Irak mit offenem Krieg geschieht – die Durchsetzung der Pax Americana –, soll in Lateinamerika über die Feihandelszone ALCA geschehen: Die Eroberung und Unterjochung eines ganzen Kontinents.
Eine nachhaltige Lehre des Seminars lautet: Wer den Fortschritt will, muss gerade im 21. Jahrhundert bereit, gewillt und fähig sein, aus den Niederlagen, wie es der 11. September 1973 war, zu lernen und konsequent und vorurteilfrei über sozialistische Perspektiven nachdenken und sein Handeln darauf einrichten.n
Der Autor ist Mitglied des Ausschusses für Entwicklung und Zusammenarbeit