Ein Hauch Internationalität in der Prignitz

Wolfgang Jahn und Bernd Wiedenhöft

Was werden die Reformen der europäischen Agrar- und Strukturpolitik strukturschwachen ländlichen Regionen, insbesondere der Prignitz, bringen? Diese Frage diskutierten rund 80 Bürgerinnen und Bürger aus dem Landkreis Prignitz in Perleberg auf Einladung der Fraktion GUE/NGL des Europäischen Parlaments mit internationalen Gästen, darunter den Europaabgeordneten Ilda Figueiredo aus Portugal und Salvador Jové Peres aus Spanien sowie aus Polen als größtem EU-Beitrittsland. Auch Russland, Tschechien, China, Brasilien und Kolumbien waren durch Stipendiaten der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die reges Interesse an den Problemen des ländlichen Raums zeigten, vertreten.

Nach dem Grußwort von Perlebergs Bürgermeister Dietmar Ziegan (SPD) erläuterte die Prignitzer Europaabgeordnete Christel Fiebiger (PDS), dass für viele die Europäische Union eine Wirtschaftsmacht sei, aber auch das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten. So würde das Bruttoinlandprodukt in Luxemburg bei ca. 45.000 Euro, in Dänemark bei 28.000 Euro und in Griechenland bei 16.000 Euro liegen – in der Prignitz sind es 14.000 Euro. Die EU-Fördergelder seien deshalb kein Geschenk, sondern notwendige Solidarität. Ausführlich ging sie auf die EU-Agrarreform und die Erwartungen an die künftige EU-Strukturpolitik ein. Insgesamt seien viele kleine Miniprojekte nötig, denn eine „große“ Lösung sei zur Zeit nicht in Sicht. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit sei ABM kein Auslaufmodell, sondern unverzichtbar.
Landrat Hans Lange (CDU) betonte das Ziel, in Europa für alle solide Lebensverhältnisse zu sichern. In der Prignitz komme der Landwirtschaft große Bedeutung zu, es gebe kaum eine gewerbliche und so gut wie keine industrielle Basis. Die Region müsse deshalb auch nach 2006 Ziel-I-Gebiet bleiben, sonst würde die bisherige Entwicklung nicht nur aufgehalten, sondern das Erreichte gefährdet.
Udo Folgert, Präsident des Landesbauernverbandes Brandenburg kritisierte die wachsende Unsicherheit politischer Entscheidungen, obwohl die Bauern für viele Jahre investieren und in Generationen denken müssen. Die Direktzahlungen dürften nur den wirtschaftenden Betrieben zugute kommen – im Interesse von Arbeit, Beschäftigung und Einkommen.
Maria Osiecka, Agrarspezialistin aus Warschau, ging auf den Ökolandbau Polens ein. Die Kleinheit der Betriebe mache eine Stabilisierung aus eigener Kraft sehr schwierig. Direktvermarktung sei ein Schwerpunkt, wobei Produktqualität und Authentizität der Produkte wachsende Bedeutung zukomme. Polens Bauern würden mit dem EU-Beitritt große Hoffnungen verbinden – vor allem auf finanzielle und logistische Hilfen.
Ilda Figueiredo betonte, dass sich die Probleme der Prignitz und Polens denen Portugals ähneln. Zwischen 1987 und 2000 seien ca. 35 Prozent der Agrarbetriebe (etwa 220.000 Familienbetriebe) aus dem Wirtschaftsleben verschwunden. Zur Zeit werden 60 Prozent aller landwirtschaftlichen Produkte importiert, obwohl Portugal durchaus in der Lage sei, sich selbst zu versorgen. Es gelte Regionen, die am meisten unter Armut, Arbeitslosigkeit und Abwanderung leiden, besonders zu stützen.
Salvador Jové Peres verwies darauf, dass Christel Fiebiger in Brüssel und Straßburg „wie eine Löwin“ für die ostdeutschen wie auch alle anderen Bauern gekämpft habe. Zur Agrarreform könne es nur heißen: „Der Stier muss in den Pferch zurück!“ Besser wäre gewesen, mit mehr Tiefgang, Zeit und Akribie im Vorfeld zu diskutieren. Vorschläge und Einwendungen der Fraktion dazu seien klar dokumentiert. Die neue Agrarpolitik, Hilfen davon abhängig zu machen, was in der Vergangenheit produziert wurde, würde nur die Ungerechtigkeiten zementieren – zum Nachteil peripherer Regionen. Durch Einfrieren des Agrarhaushalts bis 2013 bei einem jährlichen Inflationsausgleich von nur 1 Prozent entstünden real 15 Prozent Verlust. Die GUE/NGL habe immer betont, die Erweiterung mit Würde durchzuführen und den Neumitgliedern keine Fallen zu stellen. Deshalb soll das Parlament das Agrarbudget erhöhen. Zur Zeit liegen die Gesamtausgaben der EU unter einem Prozent des BIP der EU-Staaten; es ist erlaubt, bis zu 1,27 Prozent auszugeben. Da ist noch Spielraum, gerade im Interesse der Erweiterung.
Brandenburgs Agrarstaatssekretär Dietmar Schulze (parteilos) bemängelte ein Defizit an Demokratie in der Union. Ein Ausdruck davon sei, dass das Votum des Parlaments zur Agrarreform bei der Entscheidung im Luxemburger Agrarrat kaum berücksichtigt wurde. Auch sei mit der Reform „Krieg und Krach“ in Deutschland vorprogrammiert. Er formulierte zugleich konkrete Erwartungen an die Europaparlamentarier.
MdEP Hans Modrow (PDS) betonte zum Abschluss, dass nie vergessen werden dürfe, dass Europa größer als die EU ist und die europäische Gemeinschaft große Verantwortung gerade im Agrarbereich auch für die internationale Entwicklung habe. Wie die Reformen angelegt sind, gehe es jedoch nur darum, aus einem Kuchen von bisher 15 Stücken einen von 25 zu machen – jedes Stück wird kleiner werden. So könne gemeinsame Agrarpolitik und Politik für ländliche Räume nicht funktionieren. Die Linke sei gefordert, sich aktiv einzubringen und mit kritischer Distanz nach Alternativen zu suchen. Es gibt sie! Dabei müssen immer die Auswirkungen auf die Entwicklungsländer mit gedacht werden. Europäische Überproduktion dürfe nicht mehr die dortigen bäuerlichen Strukturen zerstören. Ein Grundproblem sei die wachsende Verarmung. Lateinamerika hatte 1983 ca. 30 Mrd. Dollar Schulden, 2003 sind es 90 Mrd. Aber in diesem Zeitraum wurde ein Schuldendienst von 90 Mrd. Dollar geleistet. Aus dieser Globalisierungsfalle könne nur eine völlig andere Entwicklungspolitik führen. Gefährlich sei die zunehmende Militarisierung der europäischen Außenpolitik. Die soll bezahlt werden – auch auf Kosten der Bauern. Um die Reformen als Fortschrittsentwicklung umzusetzen, bedürfe es im neuen Europaparlament der richtigen Akteure. Aus den Wahlen 2004 müsse die linke Fraktion gestärkt hervorgehen.