Öffentliche Daseinsvorsorge im Visier der Liberalisierung

Gerlinde Schneider

Kürzlich stellte sich Potsdams Oberbürgermeister, Jann Jakobs, öffentlich die Frage, „wo steht denn geschrieben, dass ein Krankenhaus oder ein Verkehrsbetrieb von der Kommune betrieben werden müsse?“ Er hat Recht, geschrieben steht das nirgends, aber auch nicht, dass dies nicht so sein soll. Doch angesichts der dramatischen Haushaltslage sehen sich immer mehr Verantwortliche in deutschen Kommunen veranlasst, auch die öffentliche Daseinsvorsorge – zu der neben der Versorgung mit Wasser, Energie, Telekommunikation, ÖPNV etc. auch Gesundheitsleistungen, Kultur und Bildung gehören – auf den Prüfstand zu stellen und aus der öffentlichen in private Hand zu geben. Deshalb stieß die Vereinte Europäische Linke, Nordische Grüne Linke, kurz GUE/NGL-Fraktion des Europäischen Parlaments, mit ihrer Potsdamer Konferenz „Zu den Auswirkungen der EU-Liberalisierungspolitik auf die öffentliche Daseinsvorsorge“ genau ins Zentrum der aktuellen Diskussion, die seit der Veröffentlichung des Grünbuches zu den „Dienstleistungen im allgemeinen Interesse“ im Mai diesen Jahres durch die Europäische Kommission erneut entfacht ist. Hochrangige Wissensvertreter aus Politik, aus Verwaltung, darunter die stellvertretende Kabinettchefin von Kommissionspräsident Prodi, Anne Houtmann, und Ernest Kaltenegger aus der Stadtverwaltung Graz, aus Wissenschaft, u.a. Prof. Jörg Huffschmid von der Universität Bremen und Dr. Alexander Wegener vom Kommunalwissenschaftlichen Institut der Universität Potsdam interessierten sich für das Thema. Auch Lobbyvertreter, darunter die Büroleiterin des Europabüros der Bayrischen Kommunen, Dr. Angelika Poth-Mögele, der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg, Karl-Ludwig Böttcher und der Generalsekretär des Europäischen Zentralverbandes der öffentlichen Wirtschaft, Rainer Plassmann, gingen in einem streitbaren Diskurs u. a. der Frage nach, ob es künftig allgemeinverbindliche Rahmenrichtlinien der EU für die öffentliche Daseinsvorsorge geben solle, wer Leistungserbringer sein soll und wer die Verantwortung für die Leistungserbringung tragen soll. Wenn künftig bei der Gesellschaft nur das „hängen bleibt“, so Dr. Helmuth Markov, PDS-Europaabgeordneter, was defizitär ist, wird künftig nichts mehr richtig funktionieren. Und so stelle sich die Frage neu, was soll künftig für den Bürger in staatlicher Hoheit organisiert werden? Weitgehend Einigkeit erzielte die Konferenz darüber, dass sich das europäische Aufbauwerk in einer fundamentalen Schieflage befindet. Die Politik der Europäischen Union forciert eine Liberalisierung der Dienste der öffentlichen Daseinsvorsorge und vernachlässigt dabei soziale, ökologische und gesundheitliche Belange. Die Interessen der Bürgerinnen und Bürger sollen hinter den Interessen privater Versorgungsunternehmen zurückstehen. Die Existenz der öffentlichen Daseinsvorsorge in den Mitgliedsstaaten ist bedroht.
Aufgabe von Politik muss es jedoch sein, heißt es in einer zum Ende der Konferenz verabschiedeten Erklärung, im gesamtgesellschaftlichen Interesse zu handeln. Die Gewährleistung allgemeiner Versorgungssicherheit zu sozial verträglichen Konditionen, gleicher Zugang aller zu den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, hohe Servicequalität, Verbraucherschutz, Nachhaltigkeit, demokratische Kontrolle und Partizipation müssen oberste Priorität für eine europäische Politik im Bereich der Daseinsvorsorge haben. Die Erklärung soll als „Potsdamer Appell“ den Kommunen zur Diskussion und anschließend der Europäischen Kommission übergeben werden.n
(Mehr Infos unter www.pds-europa.de)

Zitate von Referenten:
„Die EU ist nicht Opfer, auch nicht Widerständler, sondern Täter und Motor der GATS.“ Prof. Jörg Huffschmid
„Die eigentliche Gefahr für die Kommunen besteht darin, dass alle Dienstleistungen in Zukunft ausgeschrieben werden müssen. .. In diesem Zusammenhang ist eine Folgeabschätzung allen Tuns dringend erforderlich.“ Rainer Plassmann
„Es ist nicht die Pflicht des Staates, Betreiber der Netze zu sein. Er muss den Zugang der Bürger dazu sichern. Der Staat muss Wächter und Hüter der Wettbewerbsregeln sein, er muss regulierend eingreifen.“
Anne Houtman
„Der Staat muss festlegen, wie konkret die allgemeinen Prinzipien, die die EU vorgibt, umgesetzt werden.“ Philippe Herzog, MdEP
„Mit der Definition der Daseinsvorsorge beschäftigt sich derzeit die Kommission, nicht das Parlament, das ist ein entscheidender Makel. Ich sehe Licht am Ende des Tunnels, wenn sich jetzt die Fraktion GUE/NGL dem Thema zuwendet. Die komplette Übergabe der Daseinsvorsorge an Private ist nicht im Sinne des Erfinders. Dann ist den Kommunen der Zugriff darauf entzogen. Im EG-Vertrag müssen für Kommunen die gleichen Rechte festgeschrieben werden wie für die Privatwirtschaft. Doch Probleme lösen wir nicht durch Schienbeinschlagen an jeder Stelle.“
Karl-Ludwig Böttcher
„Die Konferenz war weder Beginn noch Ende der Debatte über die öffentliche Daseinsvorsorge. Klar wurde, dass es Liberalisierungsgegner nicht a priori gibt. Für die richtigen Entscheidungen vor Ort ist Wissen nötig, das wir uns ständig erarbeiten müssen. Das ist unsere Verpflichtung gegenüber den Bürgern.“
Dr. Helmuth Markov, MdEP
„Es kommt auf die Gestaltung der Ausschreibungen an. Der europäische Rahmen ermöglicht dies nach Preis und politischen Kriterien. Das wird hier immer übersehen.“
Dr. Alexander Wegener
„Den Kommunen vor Ort muss die Entscheidung überlassen bleiben. Doch dies wird es in Deutschland wohl nicht geben. Deshalb müssen wir an einem Komp