Erhöhung der Sicherheit im Seeverkehr im Visier
Der internationale Seeverkehr ist in den letzten Jahren immer dann in die Schlagzeilen der Medien geraten, wenn es große Schiffsunglücke mit schwerwiegenden Folgen für Mensch, Natur und Umwelt gegeben hat.
Das letzte große Desaster der Schifffahrt hat die Diskussion in der EU über die Gewährleistung der Sicherheit des Schiffsverkehrs in neuer Dimension angefacht. Der Tanker „Prestige“ hatte 70 000 Tonnen Schweröl im Hafen Ventspils in Lettland geladen, die Ostsee und Nordsee passiert und war dann im Atlantik vor der spanischen Küste bei schwerer See in Seenot geraten. Nach der höchst umstrittenen Entscheidung der spanischen Behörden, den havarierten Tanker auf hohe See zu schleppen und damit noch ungewisseren Wetter- und Seebedingungen auszusetzen, brach das Schiff nach 6 Tagen Fahrt in zwei Teile und sank in 3800 m Tiefe auf den Meeresboden. Über die Hälfte der Ladung ist seitdem aus dem Wrack ausgetreten und hat zu der größten Meeres- und Küstenverschmutzung in der Geschichte der Seefahrt geführt.
Im Hinblick auf das Ausmaß der Katastrophe und die Umstände des Unglücks hatten die Mitte-Links-Fraktionen des Europäischen Parlaments die Einsetzung eines zeitweiligen Untersuchungsausschusses gefordert. Das wurde jedoch von der parlamentarischen Mehrheit der konservativen und liberalen Abgeordneten verhindert. Statt dessen wurde der Ausschuss für Regionalpolitik, Verkehr und Tourismus beauftragt, eine Anhörung in Brüssel durchzuführen und Delegationen nach Spanien und Frankreich zur Inspektion vor Ort zu entsenden. Des weiteren wurde der belgische Liberale Dirk Sterkx bestimmt, um einen Bericht über die Ursachen des Unglücks mit Schlussfolgerungen für die künftige Vermeidung derartiger Katastrophen anzufertigen. Von den Ergebnissen dieser Aktivitäten sollte abhängen, ob doch noch über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses entschieden werden müsste.
Die Fraktion der Linken hatte sich bei den Debatten im Parlament und bei Treffen mit den Betroffenen aus Spanien, Frankreich und Portugal insbesondere dafür eingesetzt, dass „Billigflaggen“ der Zugang zu EU-Häfen generell verweigert und diese auch für die EU selbst verboten werden sollte. Darüber hinaus wurde nachdrücklich gefordert, Gewerkschaften und Interessenverbände in die Ausarbeitung und Umsetzung der neuen Maßnahmen zur Erhöhung der maritimen Sicherheit einzubeziehen.
Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments sind sich mit Rat und Kommission darin einig, dass ein ganzer Komplex von Maßnahmen zu ergreifen ist, dem sowohl die von der internationalen Seefahrtsorganisation garantierte Freiheit der Meere als auch das Erfordernis des Schutzes von Natur und Umwelt, die die Lebensgrundlagen für Tausende Fischer und Küstenbewohner bilden, zugrunde liegt. Im Vordergrund stehen Maßnahmen zur stärkeren Kontrolle der Schiffe, insbesondere der „Billigflaggen“ und deren Fahrt durch Gewässer der EU bzw. deren Anlaufen von Häfen der EU. Dazu wird eine verbesserte Hafenstaatskontrolle aller Schiffe, die Errichtung eines Netzes von „Fluchthäfen“ für Schiffe in Not entlang der Küsten der EU, die Einrichtung einer einheitlichen Küstenwache der EU sowie verbindliche Ausbildungs- und Sozialstandards für Besatzungen von Schiffen der EU gefordert. Der Rat ist bei einer Reihe von Fragen wie Hafenstaatskontrolle und Fluchthäfen den Vorschlägen des Parlaments gefolgt, bei anderen Fragen dauert die Diskussion noch an. Zur besseren Ausarbeitung aller erforderlichen Maßnahmen und zur Koordinierung ihrer Umsetzung in den Mitgliedstaaten wurde die Etablierung einer europäischen Agentur für Meeressicherheit beschlossen. Doch wie so oft bei den langwierigen Verfahren der europäischen Gesetzgebung bilden Beschlüsse des Rates und die Zustimmung des Parlaments erst die Hälfte des Weges, da nun die Mitgliedstaaten die Umsetzung in nationales Recht bzw. in nationale Praxis vornehmen müssen.
Besonderes Augenmerk verdient der Streit um die rechtlichen Aspekte, da erstmals der Europäische Rat bereits im Dezember beschlossen hatte, für die EU striktere Regeln einzuführen und anzuwenden als die geltenden der Internationalen Seefahrtsorganisation. Das berührt eine Grundfrage des Agierens der EU in vielen Bereichen des internationalen Handels, wo bisher immer die Möglichkeit einer weitergehenden Rechtssetzung für das Gebiet der EU ausgeschlossen wurde. Die zuständige Kommissarin Loyola de Palacio bezeichnete in einer Diskussion im Parlament das aktuelle Seerecht als Recht des 19. Jahrhunderts. In der modernen Seefahrt würden riesige Mengen Öl und Gefahrgüter über die Meere und Ozeane transportiert, die enorme Gefahren und Risiken für Mensch und Natur herauf beschwörten. Im aktuellen internationalen Seerecht wird das nicht berücksichtigt, weshalb ein dringender Bedarf zur Überarbeitung besteht. Die EU könne und müsse sich sowohl innerhalb der IMO* für entsprechende Verhandlungen stark machen, als auch mit eigenen Maßnahmen den Weg der erforderlichen Anpassungen vorzeichnen. Dieser Auffassung ist auch aus unserer Sicht nur zuzustimmen.
Die Verkehrsminister der EU haben Ende März 2003 beschlossen, ab dem Jahr 2010 das Ein- oder Auslaufen von einwandigen Tankern in die bzw. aus den Häfen der EU, wie auch generell den Transport von Schwerölerzeugnissen mit Ein-Hüllen-Tankern zu verbieten. Das ist die vorerst bedeutendste Konsequenz aus dem schweren Unglück des Tankers „Prestige“. Mit dieser Entscheidung wird der Prozess der Ausmusterung der Ein-Hüllen-Tanker, der trotz des vorherigen schweren Tankerunglück der „Erika“ im Dezember 1999 erst für 2015 vorgesehen war, beschleunigt. Darüber hinaus soll im Rahmen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation die weltweite Ausmusterung von Ein-Hüllen-Tankschiffen erreicht werden.
Bleibt zu hoffen, dass den Meeren und Ozeanen unserer empfindlichen Erde möglichst lange neue Katastrophen erspart bleiben.n
* International Maritime Organization